20. Januar 2017

Liebe kennt keine Entfernung

Dauerkarteninhaber aus der Schweiz legt für ein rot-weisses Heimspiel regelmäßig fast 1400 Kilometer zurück.

Liebe kennt keine Liga – und keine Entfernung. Zumindest, wenn es nach Alf aus dem schweizerischen Kanton St. Gallen geht. Denn der 67-Jährige ist nicht nur Fan und Mitglied des Traditionsvereins von der Hafenstraße, sondern auch rot-weisser Dauerkarteninhaber. 675 Kilometer trennen fußballerische und private Heimat und doch lässt sich Alf kaum ein Heimspiel seiner Rot-Weissen entgehen.

Allerdings war die Entfernung nicht immer so groß. 1950 wurde Alf in Essen-Vogelheim geboren. Obwohl wahrscheinlich allein dieser Fakt schon genügt hätte, um sich irgendwann mit dem Virus RWE zu infizieren, trieb sein Vater diesen Prozess weiter voran, indem er seinen Filius bereits im Alter von sechs Jahren mit an die Hafenstraße nahm. Mussten beide in der ersten Halbzeit der Heimspiele noch hoffen, dass sich das Spielgeschehen aufgrund der eingeschränkten Sicht vornehmlich vor der Westtribüne abspielte, durften sie den zweiten Durchgang kostenfrei im Stadion miterleben. Seine Idole auf dem grünen Rasen zum Greifen nah, die lautstarke Kulisse in den Ohren und den Bratwurst-Geruch in der Nase: All das hat sich eingebrannt und Alf seitdem nicht wieder losgelassen. Als 10-Jähriger bekam er schließlich die Erlaubnis seiner Eltern, alleine zu den Spielen von Rot-Weiss Essen zu gehen.

Gerade die ersten Jahre an der Hafenstraße sorgten immer wieder für bleibende Erinnerungen: „Eines Tages, ich weiß nicht mehr bei welchem Spiel, kam ein älterer Mann mit einer Rolle Eintrittskarten auf mich zu und schenkte mir eine Eintrittskarte. Ich fühlte mich wie ein König. An der Kasse wurde ich aufgehalten und vom Kassierer nach dem Sportgroschen gefragt, den man zusätzlich zur Eintrittskarte zahlen musste. Da das wöchentliche Taschengeld von 20 Pfennig schon längst bei Habraschke anne Bude ausgegeben war, hatte ich kein Geld. Ich weinte, bis sich ein Mann hinter mir erbarmte und den Groschen für mich zahlte. Seitdem und bis heute habe ich immer eine Münze in der Hosentasche.“

Seitdem ist in seinem Leben einiges passiert. „Westkurve, Ostkurve Haupttribüne, Bundesliga, Aufstieg, Abstieg, Bundesligaskandal, Siege, Niederlagen. Fast wie im richtigen Leben“, blickt Alf zurück. Seinen RWE trug er dabei immer im Herzen. Zu sehen bekam er ihn nun jedoch seltener. Eine neue Liebe zog ihn 1989 in die Schweiz, wo er seitdem als Koch in verschiedenen Hotels und Restaurants arbeitet – eingeschlossen selbstverständlich auch Wochenenddienste. So wurden die Besuche an der Hafenstraße weniger. Ganz nehmen ließ sie sich Alf aber nie. „Verständnisvolle Chefs haben es möglich gemacht, RWE in dieser Zeit immerhin noch sechs bis zehn Mal an der Hafenstraße zu sehen.“ 2006 konnte der gelernte Koch dann etwas kürzer treten, sodass sich die Besuche der Hafenstraße wieder häuften – zu ganz besonderen Spielen sogar mit Tracht und Alphorn im Gepäck.

Diese Zeit war auch die Geburtsstunde von Alfs „Fanporter“. Ein Transporter, der dank der aufgedruckten RWE-Embleme auf den gesamten fast 700 Kilometern der Anreise zeigt, wohin die Reise geht. „Meist fahre ich in der Nacht. Um 22.00 Uhr geht’s gemütlich los. Mit zwei bis vier Pausen geht’s mit Tempo 100 die 672 km nach Essen. Nach acht Stunden trinke ich dann den ersten Kaffee am Sporttreff in Vogelheim. In den Jahren habe ich verschiedene Hotels kennengelernt, übernachte aber auch häufig im Fanporter oder bei Freunden.“

Wenn Alf für seinen RWE nach Essen kommt, bleibt es meist nicht nur beim Besuch der Spiele der ersten Mannschaft an der Hafenstraße. Wenn es der Spielplan hergab und -gibt, besucht der auch die Spiele der Jugend an der Seumannstraße oder reist weiter Richtung Norden zum OFC Werder Deubel, wo er seit Jahren Ehrenmitglied ist. Zuletzt war Alf beim Angrillen an der Hafenstraße und hat sich mit anderen Rot-Weissen auf das Jahr 2017 eingestimmt.

Dass Liebe beim ihm keine Entfernung kennt, verdeutlicht seit dieser Saison auch die rot-weisse Dauerkarte in seiner Brieftasche: „In dieser Saison habe ich mir zum ersten und sicher nicht zum letzten  Mal eine Dauerkarte gekauft. Zusammen Hoch3. Bestimmt klappt dat ja ma wieder mitte Aufstiegsfeier.“ Spätestens dann hätte Alf wohl wieder Tracht und Alphorn mit dabei.