19. August 2016

„Und wir holen den Pokal“

Die rot-weisse DFB-Pokalrunde 1974/1975

Der DFB-Pokalsieg von 1953 und die Finalteilnahme 1994 sind im kollektiven Gedächtnis der RWE-Fans fest verankert. Sie finden sich auch auf den Fotos der großen Bilderwand im Eingangsbereich der Zeche Hafenstraße. Weniger bekannt ist, dass es in den Bundesligazeiten der 1970er Jahre zwei sehr erfolgreiche Pokalteilnahmen gab, die den RWE jeweils bis ins Halbfinale führten, wie etwa in der Saison 1974/1975.

Im zweiten Jahr nach dem insgesamt dritten Bundesligaaufstieg 1973 dümpelte Rot-Weiss Essen im unteren Mittelfeldbereich zumeist zwischen Platz 12 und 14 der Bundesligatabelle. Dabei hatte die Mannschaft einen guten Start in die Saison 1974/75 mit zwei Auftakterfolgen gegen den 1. FC Köln (1:0) und den Wuppertaler SV (2:0) erwischt. Es folgte die 1. Pokalrunde beim zweitklassigen OSV Hannover. Zwar ging man auch hier durch Tore von Lippens und Burgsmüller mit 2:0 in Führung, der Zweitligist konnte aber in der 2. Halbzeit auf 2:3 verkürzen. Innerhalb von zehn Minuten entschied der RWE das Spiel dann deutlich mit 5:2 für sich. Neuzugang Manfred Burgsmüller wurde als echter Gewinn für das RWE-Team herausgestellt. Die Sportkommentatoren merkten aber kritisch an, dass Essen einige Phasen mit Glück überstanden hatte und sich für die künftigen Aufgaben in der Deckungsarbeit nicht so gehen lassen dürfe. Im Bundesligaalltag geschah das leider allzu oft.

In der 2. Pokalrunde bekam Manfred Burgsmüller erneut Bestnoten. Eine Viertelstunde genügte dem RWE, um gegen den klassentieferen DJK Gütersloh nach einer umkämpften 2:1 Führung mit 6:1 auf die Verliererstraße zu bringen. Der Gästetreffer in der 85. Minute zum 6:2 Endstand war nur noch Ergebniskorrektur.

In der 3. Pokalrunde stand mit dem Lokalderby beim Schwarz-Weiß Essen ein echter Pokalfight auf dem Programm. Die 1:0 Pausenführung durch Nobby Fürhoff glich zwei Minuten nach dem Wechsel Günter Riepert aus, ehe Gerd Wörmer in der 67. Minute der Siegtreffer gelang. Und erneut kritisierte der Kicker die Essener Spielweise: „Nur der lauffreudige Burgsmüller, der technisch brillante Wieczorkowski und der wieder kompromisslos fightende Wörmer zeigten ihre normale Form. Sie vor allem sorgten dafür, dass der Sieg letztendlich verdient war.“

Auch im Achtelfinale bekam Rot-Weiss Essen mit FK Pirmasens einen Zweitligisten zugelost. Und diesmal wurde die Aufgabe souverän gelöst. „Quasi im Vorbeigehen hat sich Rot-Weiss Essen in die nächste Pokalrunde gespielt. Der Zweitligist aus dem Südwesten war von Anbeginn nur ein Spielball der Rot Weissen, die im Verlauf sogar einen Gang zurückstreckten und sich mit dem 6:0 begnügten“, urteilte der Kicker.

Eine echte Herausforderung stand dann im Viertelfinale bevor. die Landeshauptstädter hatten in der Saison 1974/75 mit 4:0 im Rheinstadion und 2:1 im Georg-Melches-Stadion gewonnen. In der Vorberichterstattung waren die Essener Journalisten daher skeptisch. Im Pokalspiel kam Rot-Weiss Essen dann aber mit Kampf und Leidenschaft zu einem verdienten 1:0 Erfolg. Die rot-weisse Abwehr ließ das Düsseldorfer Angriffsspiel diesmal nicht zur Entfaltung kommen. Essens Paradesturm überzeugte dagegen. Drei dicke Torchancen gab es bereits in den Anfangsminuten. Doch Willi Lippens und zweimal Manfred Burgsmüller fehlten jeweils nur Zentimeter zum Torerfolg. Besser machte es da Werner Lorant, der den Ball im Anschluss an die 13. Ecke im Nachschuss zum Siegtor unter die Latte wuchtete. An der Chancenverteilung gemessen „hätte es am Ende leicht 5:2 heißen mögen“, zog der Kicker sein Schlussfazit. Von der Haupttribüne beobachtete übrigens ein 23jähriges Stürmertalent das Pokalviertelfinale, den die NRZ als den „Schrecken aller Abwehrreihen in der westfälischen Bezirksklasse“ vorstellte: Horst Hrubesch.

Dem Freudentaumel folgte aber schon bald eine kleine Ernüchterung, als in der ARD-Sportschau das Halbfinale ausgelost wurde. Ausgerechnet Eintracht Frankfurt, amtierender DFB-Pokalsieger und aktueller Bundesligadritter, der den Essenern in der laufenden Saison mit 5:0 und 9:1 zwei bittere Niederlagen beigebracht hatte, war der Gegner im Waldstadion. Rot-Weiss Essen hatte eigentlich auf ein Revierderby gegen den MSV Duisburg oder den damaligen Zweitligisten Borussia Dortmund gehofft.

Die mitreisenden Fans traten die Reise an den Main also etwas skeptisch an. Doch der Pokal hat bekanntlich seine eigenen Gesetze und Rot-Weiss wollte die Bundesligaergebnisse vergessen lassen. RWE begann unerwartet offensiv und hatte in der Anfangsphase einige gute Möglichkeiten. Bereits in der 5. Minute vergab Hansi Dörre nach einer Flanke von Willi Lippens seine gute Einschussmöglichkeit. In der Folgezeit gab es bis zur Pause Chancen auf beiden Seiten. Nach dem Seitenwechsel spielten sich unglaubliche Szenen im Frankfurter Strafraum ab. Doch trotzdem gelang es weder Manni Burgsmüller noch Nobby Fürhoff oder Willi Lippens die Verwirrung der Gastgeber auszunutzen und den Ball über die Linie zu befördern. In der letzten halben Stunde wurde der Druck der Eintracht wieder stärker. Torhüter Jürgen Rynio musste gegen die Abnahmen von Bernd Nickel und Jürgen Grabowski sein ganzes Können aufbieten. In der 69. Minute war er allerdings gegen den Fernschuss von Klaus Beverungen machtlos. RWE mobilisierte noch einmal alle Kräfte und kam in der 84. Minute durch Manfred Burgsmüller nach einer präzisen Flanke von Dieter Bast zum 1:1 Ausgleich. Weitere Großchancen vereitelte der Frankfurter Torhüter Günther Wienhold und die Latte. In der Verlängerung ging der offene Schlagabtausch weiter bis erneut Klaus Beverungen in der 111. Minute mit einem Distanzschuss zum 2:1 traf. In der 116. Minute gelang Bernd Lorenz dann noch der 3:1 Siegtreffer. Eintracht Frankfurt zog ins Finale ein und holte dort gegen den MSV Duisburg den DFB-Pokal 1975.

Text: Georg Schrepper