5. Oktober 2021

„Einmal Hafenstraße mit alles dabei“

Buchautor Uwe Strootmann im Interview über seinen neuen RWE-Bildband „Szenen eines Vereins“.

Uwe Strootmann lächelt in die Kamera




Autor, Blogger und RWE-Philosoph: Uwe Strootmann (Fotos: privat)

Die vergangene Spielzeit fand unter merkwürdigen Bedingungen statt: An der sonst so lauten, emotionalen und vollen Hafenstraße durften keine Zuschauer für Heimspieltage einkehren, um ihre Mannschaft zum Sieg zu schreien und anzufeuern. Nun ist der liebevolle Bildband „Szenen eines Vereins“ online und im Fanshop erhältlich, welcher diesen ungewöhnlichen Zustand aus einmaligen Foto-Perspektiven dokumentiert: Gemeinsam mit „Im Schatten der Tribüne“-Blogger sowie WAZ-Kolumnenschreiber Uwe Strootmann und dank starker Unterstützung des Sportfotografen Markus Endberg legt RWE das Buch „Szenen eines Vereins – Leitfaden für Rot-Weiss Essen“ auf. Wir sprachen mit Ideengeber Uwe Strootmann.

Hallo Uwe Strootmann! Warum bezeichnest du deinen Bildband „Szenen eines Vereins“ als Leitfaden für Rot-Weiss Essen?
Ich finde, es passt zu RWE ganz gut, sich an Bildern an die Hand genommen zu fühlen, um unseren Verein einfach in mehr Facetten kennenzulernen, als es der reine Besuch an einem Spieltag vielleicht mit sich bringt. Und einen Faden, den kann man auch trefflich weiterspinnen. Vielleicht also regt dieses Buch dazu an, sich weiter mit Rot-Weiss Essen zu beschäftigen.

Es ist aber nicht nur ein Leitfaden, sondern auch ein Zeitzeugnis einer kuriosen Saison. RWE war sportlich sehr erfolgreich, aber keiner durfte dabei sein. Wie habt Ihr die Diskrepanz zwischen DFB-Pokal-Siegen und Pandemie-Pause verarbeitet?
Oh, das war sehr schwierig und manchmal aber auch hilfreich zugleich. Die stille Hafenstraße ist eine wunderbare Gelegenheit, um sie in all ihren Facetten abzulichten. Wenn der Fan fehlt, übernehmen Aufkleber und Graffiti die Straße und das Areal rund um unser Stadion. Da ist kein Blick auf das Motiv versperrt. Also war es aus dieser Sicht durchaus einmal angenehm. Man hat auch sehr schnell gespürt, was die Hafenstraße ohne Menschen ist: Ihrer Seele beraubt.

Ich habe dann lange gegrübelt, ob man es bei einem reinen Motivbuch belassen sollte, oder auch noch mal die sportliche Dramatik mit in den Fokus setzt, denn in der Tat: Es war eine sportlich unglaublich erfolgreiche Saison. Auch das Fan-Office hat mehr als einmal vor dem Monitor gebebt. Also habe ich Markus Endberg als Bekannten und fotografischen Allesfahrer gefragt, ob er sich vorstellen kann, mit seinen sportlichen Eindrücken Teil des Buches zu werden. Glücklicherweise wollte Markus und überließ mir unglaublich viele tolle Fotos aus der Pokalsause und auch aus dem letzten Saisonspiel. Das war wie im Fanshop: Alles toll, aber was nehme ich nur?

Was bekommt der Leser, was er bisher noch nicht bekommen hat?
Die Chance, sich ziemlich intensiv mit allem rund um den grünen Rasen zu beschäftigen. Man geht nicht mehr nur nach Rot-Weiss, sondern man kann Rot-Weiss auch mit nach Hause nehmen. Und natürlich bekommt der Betrachter auch Einblicke in das Stadion, die sonst so leider nicht möglich sind. Wir schauen in die Kabine, in die liebevoll gestaltete Zeche Hafenstraße, stehen hinter dem Vorsängerpodest und kriechen durch das Gestrüpp an der Berne. Einmal Hafenstraße mit alles dabei.

"Einmal Hafenstraße mit alles dabei" – Rot-Weiss Essen
So intim hat man RWE selten gesehen: „Szenen eines Vereins“ ist Rot-Weiss Essen für zuhause. Das Buch ist online und im Fanshop erhältlich.

Würdest du bei der Behauptung mitgehen: Das Buch ist der Beleg dafür, wie kraftvoll und laut RWE selbst in der Stille einer weltweiten Pandemie ist?
Absolut, das Buch ist letztendlich doch nur optischer Ausdruck dessen, dass unser RWE noch immer und zurecht in den Köpfen der Fußballfans bundesweit und darüber hinaus verankert ist. Egal, wo man sich rund um die Hafenstraße aufhält, RWE ist da. Oftmals plakativ vertreten. Du fühlst Dich angezogen und merkst an jeder Ecke, dass das hier nicht die Heimat eines x-beliebigen Vereines ist. Das ist auch ohne Spiel Identifikation und Sog zugleich. Vor allem spürst Du einfach den Spieltag, auch wenn gar keiner ist. Das geistige Auge hat direkt die ankommenden Fans vor sich, man kennt die Geräusche und die Gewohnheiten. Die Stille für den Moment immer gebrochen.

Du hast dich auch im Umfeld der Hafenstraße umgeschaut.Warum bezeichnest du die legendäre Hafenstraße auch als „Boulevard of broken Dreams“?
(Lacht) Es ist eigentlich ganz einfach: Weil sich unsere Träume vor der Saison am Ende dann doch (und seit mittlerweile ziemlich langer Zeit) in Luft auflösen mussten. Aber der Ursprung ist in der Tat ein ganz trivialer: Auf dem Hinweg zu einem Spiel höre ich meistens den RWE-Sampler (wenn ich ihn nicht gerade wieder verloren oder verschenkt habe). Ich mag das, auf der Autobahn lautstark und ungestört unsere Lieder zu trällern und die Vorfreude dadurch zu steigern.

Auf dem Rückweg musste die CD dann aber manches Mal weichen, war das Ergebnis nicht so wie erhofft. Und da kommt dann „Green Day“ ins Spiel: Zu „Basket Case“ beispielsweise kann man sich hervorragend an einer Niederlage abarbeiten. Aber spätestens als „Boulevard of Broken Dreams“ aus den Boxen tönte, fiel mir auf, dass die Band diesen Song eigentlich nur uns und der schönsten Straße der Welt gewidmet haben könnte. Hat sie natürlich nicht und ich bin frohen Mutes, dass wir dieses Synonym „BobD“ mit Ende der aktuellen Saison auch in Prachtallee umkehren können. Muss mir dann halt ein neues Lied dafür suchen.

"Einmal Hafenstraße mit alles dabei" – Rot-Weiss Essen
Hat jeden rot-weissen Moment eingefangen. Markus Endberg verfolgte auch während der Corona-Saison jedes Spiel mit der Kamera.

Du schreibst: „Wenn drumherum die Tradition bewahrt wird, kann man sich im Innern Immer wieder neu erfinden …?“ Kannst du die Idee bitte erläutern?
Oh, diesen Satz auch noch zu erklären, darauf war ich jetzt gar nicht gefasst, aber ist schon toll formuliert, oder? (schmunzelt) Der Ursprung für diese gewählte Formulierung liegt für mich sicher im Abriss des Georg-Melches-Stadions begründet. Der Verlust hat ganz vielen Fans Kummer bereitet, obwohl wir alle wussten, dass unsere geliebte Kabachel nicht mehr lange durchhalten würde.

Zudem war da ja auch die latente sportliche Ungewissheit. Für den Moment hatten wir gefühlt nur noch den Verein, aber irgendwie auch nicht mehr greifbar. Daher war dieser Aufbruch in das Stadion Essen dann ein sehr wichtiger, auch wenn ihm logischerweise die Patina des GMS fehlte. Man musste sich vieles an Identifikation mit dem neuen Stadion erst erkämpfen. Übrigens sieht man auch das im Buch sehr schön: Da wurde mittlerweile mit ganz viel Liebe und Hingabe eine Heimat für unseren Verein geschaffen. Mittlerweile hatte zudem auch die rührige GMS-Initiative damit begonnen, viele Devotionalien und Memorabilia aus dem GMS zu sichern, sichten und für den Zeitstrahl „Kleine Gruga“ zu präparieren. Die Tradition konnte so auf wunderbare Art bewahrt werden und die Erinnerung an das GMS bleibt damit auf ewig erhalten.

Und wenn diese Vereinshistorie den Weg zur Tribüne begleitet, man dort verweilen kann, dann bleibt die Erinnerung lebendig und man freut sich noch mehr auf das, was einem an Neuem bei Rot-Weiss Essen erwartet. Man kann zurückdenken und nach vorne schauen. Diesen Spagat haben wir ehrlicherweise wohl viele Jahre nicht alle hinbekommen. Ich glaube aber, dass dieser Schritt nun vollzogen ist. Im Inneren erfindet man sich immer wieder neu, indem man sich den sportlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten stellt und danach handelt. Und zudem als Verein auch neben dem Hauptaugenmerk „Erste“ viele neue Dinge anstößt. Die „Essener Chancen“, unser Inklusionsteam, der Umgang als e.V und noch so vieles mehr. Das alles wirkt frisch und macht uns attraktiv und stolz auf den Verein.

Bildband dokumentiert packende AUgenblicke

Ob ein tiefer Blick in das Kabineninnere oder der Anblick des blutleeren Stadions an einem Corona-Spieltag: Die Fotos in „Szenen eines Vereins“ sind voller Leidenschaft, mit kreativem Auge und einem Stück rot-weisser Detailverliebtheit aufgenommen. Inhaltlich fehlt zwar die Folklore auf den Rängen und der Trubel rund um die packenden Matches an der Hafenstraße, der Bildband lässt aber die Sause ‚Freilos‘ noch einmal aufleben, zeigt Einblicke in die innersten Bereiche des Stadions, huldigt der ‚Kleinen Gruga‘ und darf eine Retrospektive aus dem Jahre 1967 präsentieren. Mehr Infos gibt’s hier.