19. Juni 2022

Wieder gewonnen: Traditionself schlägt Homburg

Dirk Wißel berichtet vom Revival der Amateurmeisterschaft vor 30 Jahren.

Wieder gewonnen: Traditionself schlägt Homburg – Rot-Weiss Essen
Die RWE-Traditionself ist in ganz Deutschland im Einsatz. (Archivfoto: Breilmannswiese / Heidelberg)

„Als der gute Lars Krüger, umsichtiger Organisator der Spiele der RWE-Traditionsmannschaft, vor gut neun Monaten von Dieter Hoyer kontaktiert wurde, um das am 13. Juni 1992 durchgeführte Amateur-Meisterschaftsendspiel des SC Rot-Weiss Essen gegen SpVgg 05 Bad Homburg 30 Jahre später als Revival noch einmal in Bad Homburg auszutragen, waren wir natürlich alle begeistert. Heute heißt der Verein SC 99 Bad Homburg und spielt in einer der hessischen Kreisklassen. 

Da wir jedes historisch aufgeladene Spiel absolut begrüßen und Bad Homburg auch viele alte Recken reaktivieren wollte, sagten wir spontan – nach Einschaltung von Frank Kurth (als damaligem Spieler) als omnipotenten Delegationsleiter, den hessischen Kollegen bereits nach sechs Monaten zu. Als Verweis wurde allerdings auch hinterlegt, dass sich das wahrscheinliche Spieltempo bei Zugrundelegen von Altersdurchschnitt und Raum-Zeit-Kontinuum eher verlangsamen würde. So viel vorweg: Wie häufig, wenn man RWE-Spieler die Stadtgrenzen verlassen lässt, brandet in der auswärtigen Gastronomie tosender Applaus auf und diesmal bekamen wir sogar Standing Ovations, aber dazu später mehr. 

Wir wurden am Hotel von Frank Metlicar, dem Geschäftsführer, und Dieter Hoyer herzlich empfangen. Dabei stellte sich heraus, dass Frank die ersten 22 Jahre seines Lebens völlig verletzungsfrei 800 Meter entfernt vom Georg-Melches-Stadion verbracht hatte und beim Endspiel um die Amateur-Meisterschaft einer der Besucher des Spiels war. Da ließen wir uns gar nicht lange lumpen und hüllten den Direktor der Menschenaufbewahrungsstätte in feinsten RWE-Strick aus der diesjährigen Meistersaison. Dieter erklärte uns nahezu zeitgleich die regionale Folklore Hessens und insbesondere alle Highlights (alle drei) der Bad Homburger Fußballgeschichte. 

Danach ging es zur 10 Minuten entfernten Sportanlage, die über einen leicht holprigen, aber sehr grünen Rasen verfügte. Unsere wieder einmal angespannte Personalsituation machte es notwendig bei herrlichem Wetter mit den Kräften hauszuhalten. Auf der Bank saßen mit dem Literat der hier vorliegenden Prosa ein vor drei Tagen an der Schulter operierter Pflegebedürftiger und mit Denniz Panchenko ein Jungstar, der sich in den letzten Trainingseinheiten geradezu aufgedrängt hatte …, aber noch nie ein Spiel auf einem großen Spielfeld absolviert hatte. In der Startaufstellung bettelte Thomas Thiel darum ihn und seinen Streckverband am rechten Oberschenkel schnell zu erlösen und Lars Krüger konnte gar nicht so viel Ibuprofen schlucken wie notwendig gewesen wäre, um nicht als Quasi-Modo-Double weggekauft zu werden. Darüber hinaus gab Dietmar Klinger mit smarten 67 Lenzen sein Debut über die komplette Spielzeit und wird ausgemergelt von Stund an von den Enkelkindern den Löffel an den Mund geführt bekommen. 

Wir gestalteten das Spiel sehr sicher und gingen nach 25 Minuten durch Stefan Lorenz nach feiner Vorarbeit seines Bruders Michael mit 1:0 in Führung. Michael gestand im Laufe des Abends, dass ihm der Pass nur sehr schwer vom Fuß gegangen sei, weil er seinem Bruder das Tor genau gar nicht gönnte. Schon zu diesem Zeitpunkt konnte man aber schon die eine oder andere Nickeligkeit einzelner blau-gelb gekleideter, hessischer Sportskameraden wahrnehmen. 

In Hälfte zwei wurden wir durch einen gut herausgespielten Konter nach zehn Minuten kalt erwischt und weitere zehn Minuten später stellte die Heimelf gar auf 2:1, als sich Stefan Lorenz im Laufduell eine Muskelverletzung zuzog und der enteilende Stürmer Sekunden später einen Elfmeter zugesprochen bekam. Allerdings wehrten wir uns nun wieder anständig und kamen zunächst durch Andreas Schröder, der vorher einige gute Gelegenheiten ohne erkennbare Anstrengung hatte liegen lassen, zum 2:2-Ausgleich, bevor derselbe Spieler eine Minute vor Spielschluss nach Vorarbeit von Lars Krüger zum 3:2 aus rot-weisser Sicht traf. 

Wir hatten dem Titel verteidigt und wurden dafür von den sehr netten und zuvorkommenden Verantwortlichen des SC 99 Bad Homburg mit einem eigens hierfür kreierten Pokal geehrt, den es in 30 Jahre wieder zu verteidigen gilt. Die meisten der an diesem Samstag tätigen Spieler müssten dafür wahrscheinlich von Ihrem Zivi vorher noch gewendet werden. Man merkt aber auch die Weiterentwicklung des gesamten Spielerkaders, denn vor 30 Jahren hatten wir noch die Verlängerung zum Sieg benötigt. 

Nachdem wir weiterhin zuverlässig mit alkoholischen Getränken versorgt wurden und das Players Dinner auch keine Wünsche übriglies, beschlossen wir noch dem Oberurseler „Brunnenfest“ einen Besuch abzustatten. Bis weit in die frühen Morgenstunden wurde dort der Sieg gefeiert und die Mannschaftskasse ihrer gerechten Verwertung zugeführt. Auch ein von dritter Seite völlig sinnlos angezettelter Gesangswettbewerb von Eintracht-Frankfurt-Fans, die sich als 1860 München Sympathisanten tarnten, wurde sicher schon beim Warmmachen gewonnen. Das „Brunnenfest“ wird seit dem 11. Juni 2022 nun als Bergeborbecker Stadtteilfest fortgesetzt und die von uns eroberte Cocktail-Bar in „Hafenstübchen“ umbenannt. 

Die Abreise haben nicht alle Spieler gleichmäßig intellektuell durchstiegen. Es waren aber trotzdem alle dankbar, als sich in Essen die Türen des „Reisebusses“ wieder öffneten, die Uhr schon 14 Uhr zeigte und sich der alte Satz des Ruhrgebiets wieder einmal bewahrheitete: Zu Hause ist da, wo der Schlüssel passt. Andreas Schröder ist nach Überprüfung durch den VAR im Übrigen zwei Mal nachts aus dem Bett gefallen, was als Schwalbe geahndet wurde und einen Kasten Stauder nach sich  ziehen wird.“ 

Kader: Frank Kurth, Andreas Schröder, Denniz Panchenko, Thomas Thiel, Dirk Wißel, Igor Denysiuk, Lars Krüger, Stefan Lorenz, Pedrag Crnogaj, Dietmar Klinger, Marcel Gomowski, Michael Lorenz, Ingo Pickenäcker