9. Oktober 2013

„Müssen wieder den Glauben an unsere Stärke finden“

Nach dreieinhalb Jahren Wartezeit steht Philipp Kunz im RWE-Tor und hofft heute auf die nächste Steigerung.

Torhüter Philipp Kunz hat bei Rot-Weiss seit seiner Verpflichtung im Frühjahr 2010 schon viele Spieler kommen und gehen sehen. Nach Vincent Wagner, Holger Lemke und Damir Ivancicevic gehört der 26-Jährige zu den dienstältesten Spielern im RWE-Trikot. Trotzdem galt der Student der Sportwissenschaft für viele RWE-Fans lange Zeit als große Unbekannte. Denn „Alf“, wie er von seinen Mitspielern gerufen wird, hat in dreieinhalb Jahren gerade einmal sieben Ligaspiele (mit dem jüngsten 1:0 beim SC Verl) für die Rot-Weissen bestritten. Erst nach dem Fingerbruch von Stammtorhüter Daniel Schwabke rückte der gebürtige Recklinghäuser in den Fokus. Wie Philipp die lange Zeit als „Bankdrücker“ erlebt hat und wie er sich jetzt als aktuelle Nummer eins fühlt, verriet er uns bei einem ausführlichen Gespräch mit der „kurzen fuffzehn“.

„Ich habe dreieinhalb Jahre auf meine Chance gewartet. Umso mehr freut es mich, dass ich jetzt gefordert bin. Ich stelle mich dieser Her­ausforderung und will das Vertrauen, das mir während der gesamten Zeit vom Verein entgegengebracht wurde, mit guten Leistungen zurückzahlen“, beschreibt Philipp Kunz, der mit Freundin Amelie in Datteln wohnt, seine momentane Gefühlslage.

Ob sich der Torhüter den 1. September 2013 im Kalender für immer rot anstreichen wird, ist fraglich. Fest steht aber, dass Kunz dieses Datum so schnell nicht vergessen wird. Denn im Derby bei Rot-Weiß Oberhausen (0:2) schlug für ihn in der 46. Minute die Stunde der Wahrheit. Was war passiert? RWE-Stammtorhüter Daniel Schwabke war bei einer Rettungsaktion unglücklich im Trikot eines Oberhauseners hängen geblieben und hatte sich dabei den Ringfinger gebrochen. „Ich bin sofort zu ihm hin und habe gefragt, was los ist. Daniel hat mir gesagt, dass es nicht mehr geht, und hat mir Glück gewünscht“, verrät Philipp, der erstmals nach langer Pause wieder in einem Punktspiel zwischen den Essener Pfosten stehen durfte.

Warum die Lage an der Hafenstraße aktuell so schwierig ist, dafür hat Philipp auf Anhieb auch keine passende Antwort parat. „Fest steht, dass vor allem die Heimspiele von Nervosität geprägt sind und Rückstände uns zu schnell aus dem Konzept bringen. Der Glaube an die eigene Stärke ist dadurch ein wenig verloren gegangen“, sagt der 1,86 Meter große RWE-Schnapper. „Wir versuchen zu Beginn eines Spiels oft, alles fußballerisch zu lösen. Doch jedem ist anzumerken, dass er vor dem Abspiel noch einmal nachdenkt, ob sein Zuspiel ankommt und was alles passieren könnte, wenn nicht“, vermisst Philipp die Überzeugung in den Aktionen. „Wir müssen wieder von uns selbst überzeugt sein.“

Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Genau dieser Glaube war „Alf“ während seiner RWE-Zeit trotz aller Schwierigkeiten nie abhanden gekommen. Nach seinem Wechsel 2010 von Wattenscheid 09 an die Hafenstraße wollte er in einem offenen Konkurrenzkampf mit dem damaligen Torhüter Dennis Lamczyk voll durchstarten. Doch eine Woche vor der Saisoneröffnung musste Philipp Kunz den bisher härtesten Rückschlag seiner Karriere hinnehmen. Während des Trainings erlitt er einen Knöchelbruch und lag rund dreieinhalb Monate „auf Eis“. „Ich war damals sehr froh, dass ich mit RWE einen neuen Verein gefunden hatte. Auch wenn sich Rot-Weiss damals mitten in der Insolvenz befand, habe ich mich hier immer wohl gefühlt. Der Verein hat mir nach meinem Unfall alle Freiräume gegeben und mir signalisiert, dass neben Moritz Niebuhr und Dennis Lamczyk kein weiterer Torhüter geholt wird“, kann sich Philipp Kunz noch genau erinnern. „Somit konnte ich in Ruhe und mit aller Akribie an meinem Comeback arbeiten. Dafür bin ich RWE noch heute sehr dankbar“, blickt der leidenschaftliche Skifahrer an die schmerzvolle Zeit zurück. Über die Rolle als Nummer zwei kam er danach aber nicht mehr hinaus.

Seinem großen Willen ist es zu verdanken, dass Kunz trotz fehlender Spielpraxis sportlich nicht stehen geblieben ist, sondern sich stets weiterentwickelt hat. „Die größte Schwierigkeit in dieser Zeit bestand darin, die Spannung hochzuhalten und weiter ehrgeizig zu sein.“ Ohnehin glaubt Philipp, dass die fehlende Wettkampfpraxis bei Feldspielern wesentlich höher zu bewerten ist als bei Torleuten. „Die Abläufe für einen Torwart im Training kommen denen im Spiel schon sehr nahe.“

Richtig ins Grübeln kam der Essener „Bankdrücker“ in der letzten Saison, als Dennis Lamczyk zwar seinen Status als Nummer eins einbüßte, RWE-Trainer Waldemar Wrobel dann  aber nicht Kunz, sondern U 19-Torhüter Hendrik Bonmann und später Neuzugang Daniel Schwabke vertraute. „Da überlegt man am Ende einer Saison zweimal, ob es noch Sinn macht“, sagt Philipp.

Es folgte ein offenes Gespräch mit der Vereinsführung, in dem alle Verstimmungen ausgeräumt werden konnten. „Ich hatte im Sommer zwar einige konkrete Anfragen. Aber es war nichts dabei, was mich richtig umgehauen hätte“, legte Philipp einen Vereinswechsel schnell zu den Akten. „RWE ist für mich eine Herzensangelegenheit. Ich schätze das Umfeld und die Trainingsmöglichkeiten sehr.“ Ohnehin charakterisiert er sich selbst als „treue Seele“.

Erste Erfahrungen als Fußballer

Seine fußballerischen Anfänge machte „Alf“ als Angreifer in der F-Jugend bei Eintracht Datteln. „Ich war aber zu faul und wollte nicht so viel laufen. Die Position als Torwart erschien mir deshalb genau richtig“, bemerkt der Abiturient augenzwinkernd. Von Datteln wechselte er im Jugendbereich zum TSV Marl-Hüls. Von dort ging es weiter über die Station beim FC Schalke 04 bis in den Seniorenbereich bei Wattenscheid 09. Bei den Schwarz-Weißen spielte er insgesamt sieben Jahre, bevor er an die Hafenstraße wechselte.

Längst geht „Alf“ in seinem Job als Torhüter voll auf, weil er sich auf dieser Position richtig ausleben kann. „Wie wir uns im Training in die Bälle schmeißen, ist schon grenzwertig. Da hat der berühmte Spruch vom Torwart und Linksaußen schon seine Berechtigung: Der wahre Reiz auf dieser Position liegt aber darin, ständig im Mittelpunkt und auf der Kippe zu stehen. Entweder bist du der große Held oder der totale Verlierer“, gibt uns Philipp Einblicke in sein Seelenleben.

Auch privat hat der 26-Jährige, der seit Anfang des Jahres mit Freundin Amelie verlobt ist, große Pläne. „Ich werde Amelie, die ich während meines Abiturs in Datteln kennengelernt habe, im Sommer 2014 heiraten“, verrät Philipp. Aber auch beruflich soll 2014 ein gutes Jahr werden. „Vielleicht noch im Sommer, spätestens aber in den Wintermonaten möchte ich mein Studium der Sportwissenschaft abschließen.“ Dabei denkt Philipp auch an die Zeit nach dem Fußball. In den Bereichen Sporttherapeutik und Spielerbetreuung mit den Schwerpunkten Prävention und Reha will er sich ein zweites Standbein neben dem Fußball aufbauen.

Dass bei RWE mit Dominik Poremba noch ein zusätzlicher Torhüter geholt wurde, sieht Philipp Kunz durchaus positiv. „Konkurrenz belebt das Geschäft. Der Verein musste nach der Verletzung von Daniel Schwabke handeln. Dass Dominik dazu gestoßen ist, davon profitiere ich schließlich auch. Ich bin kein Minenleger und pflege mit beiden ein freundschaftliches Verhältnis.“