9. September 2014

Von Bergeborbeck hinaus in die Welt

Rot-Weiss Essen erhielt vor genau 60 Jahren das Prädikat, „ein ausgezeichneter Botschafter für den deutschen Fußball“ zu sein. Seit 1949 absolvierte die Mannschaft jedes Jahr eine zweistellige Zahl an internationalen Spielen gegen Spitzenteams aus aller Welt.

Höhepunkt war im Frühjahr 1954 eine zweimonatige Amerika-Reise, die RWE nach Argentinien, Uruguay, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und in die USA führte. Insgesamt trugen die Rot-Weissen 16 Spiele aus, davon wurden jeweils sechs gewonnen und verloren, viermal spielte man unentschieden. Gegner waren die damaligen Spitzenmannschaften und Meister der besuchten Länder und als Höhepunkt der amtierende Weltmeister Uruguay.

Der Reiseauftakt begann mit einem Paukenschlag. Rot-Weiss Essen gewann mit 3:1 bei Independiente Buenos Aires. Der Sieg gegen den argentinischen Tabellenführer war eine Sensation. Eine Wiederholung bei Peneral Montevideo, in dessen Reihen sieben Spieler des amtierenden Weltmeisters Uruguay standen, malte man sich nur in den kühnsten Träumen aus. Doch die sollten wahr werden. Bereits zur Halbzeit stand es nach Treffern von Helmut Rahn und Penny Islacker 2:0 für RWE. Nach dem Wechsel erzielte Rahn noch ein weiteres Tor, während Rekordmeister Penarol Montevideo trotz frenetischer Unterstützung nicht einmal der Anschlusstreffer gelang. 3:0 für RWE – die nächste Überraschung war perfekt.

Die Leistungen der Rot-Weissen waren so beeindruckend, dass die Elf von der Hafenstraße spontan zu einem Testspiel gegen Uruguays Nationalmannschaft eingeladen wurde. Der amtierende Weltmeister dominierte das Spiel vor 80.000 Zuschauer und lag zur Pause bereits mit 3:0 vorn. Dennoch spielte RWE gut mit und zog viele gefährliche Angriffe auf. Am Ende lautete das Eckenverhältnis 7:3 für Essen, ohne dass aber ein zählbarer Erfolg heraussprang. Erst kurz vor Schluss konnte Penny Islacker zum 1:5 Endstand verkürzen.

Von Uruguay ging es zurück nach Buenos Aires und von dort über Chile nach Bolivien. In der Hauptstadt La Paz erkämpfte sich RWE in 3600m Höhe ein 2:2 Unentschieden. Helmut Rahn hatte sogar den Siegtreffer auf dem Fuß. Er bekam den Ball und spurtete Richtung Tor. Kurz vor dem Abschluss versagten die Beine in der dünnen Höhenluft im höchst gelegenen Fußballstadion der Welt, bei denen die Gastgeber wie im Eishockey ihre Spieler fließend wechselten.

Auf ihren weiteren Stationen spielte RWE noch in Peru, Ecuador und Kolumbien gegen die dortigen Landesmeister. Den Abschluss bildete ein zweiwöchiger USA-Aufenthalt. Ein 9:1 Kantersieg gelang zum Auftakt gegen die deutsch-amerikanische Ligamannschaft „All Stars“. Es folgte eine Turnierrunde mit der brasilianischen Mannschaft Olario Rio de Janeiro. An verschiedenen Orten der USA trug man vier Spiele gegeneinander aus, von denen RWE zwei gewann und zweimal unentschieden spielte.

Im Kalenderjahr 1954 absolvierte Rot-Weiss Essen die meisten internationalen Spiele in seiner Vereinsgeschichte – insgesamt 28 (!) mit 9 Siegen, 7 Unentschieden und 12 Niederlagen. Dabei gab es zahlreiche Höhepunkte. So spielte eine gemischte Mannschaft RWE/BVB/SO4 an der Hafenstraße gegen die brasilianische Spitzenmannschaft Sao Paulo (2:3), es folgte die angesprochene neunwöchige Amerikareise und in der Meistersaison 1954/55 bis zum Ende der Hinrunde Spiele gegen die holländische Nationalmannschaft (2:2), Racing Club Paris (3:1), Real Madrid (1:6) und Tottenham Hotspurs (2:4). Die Mannschaft aus dem Arbeiterviertel Bergeborbeck traf auf Weltstars wie Stanley Matthews oder Alfredo di Stefano. Helmut Rahn und Penny Islacker erhielten traumhafte Angebote aus Südamerika, mit denen sie ausgesorgt hätten, blieben ihrer Heimat und dem RWE aber treu.