28. Oktober 2014
Zeiger: „Ich habe noch Luft nach oben!“
Philipp Zeiger ist gerade einmal 24 Jahre alt und nur wenige Monate in Essen. Und dennoch kann man sein Leben und seine Karriere mit zwei Ereignissen verbinden. Ein historisches, ein persönliches. Geboren in Dresden, inmitten der sich auflösenden DDR und Fan von Dynamo Dresden. Im Interview berichtet der 1,94 Meter große Philipp Zeiger, wie sich sein Bild vom Ruhrpott gewandelt hat und wie er mit dem persönlichen, sportlichen Schlag des Schlüsselbeinbruches kurz vor dem Saisonstart umgegangen ist.
Selten passte das geflügelte Wort: „Dumm gelaufen!“ so gut, wie zu Philipp Zeigers Start bei Rot-Weiss Essen. Als der 24-Jährige im Sommer vom Drittligisten Hallescher FC in den Ruhrpott wechselte, hatte er viele Pläne und Ambitionen. Doch am 23. Juli 2014 wurden diese jäh unterbrochen: Beim Testspiel gegen die Kickers aus Offenbach zog sich der Innenverteidiger einen Bruch des Schlüsselbeins zu. Zwei Monate Pause – der Saisonstart war für Zeiger gelaufen.
Ein hartes Los für den gebürtigen Dresdener. Kaum angekommen in der neuen Heimat, musste er diesen Schlag erst einmal verdauen. „Der Schock war schon relativ groß, das muss man sagen. Vor allem der Zeitpunkt war ungünstig“, beschreibt Zeiger die Situation, „ich hatte noch nie vorher so eine starke Verletzung. Es war für mich eine völlig neue Situation.“
Kopf nicht hängen lassen
Mancher Sportler braucht erst einmal ein paar Tage oder gar Wochen, um so etwas zu verdauen. Insbesondere, wenn man nicht gerade Bundesliga spielt und nach zwei Jahren finanziell ausgesorgt hat. Doch Zeiger ließ sich davon nicht unterkriegen – im Gegenteil: „Ich konnte relativ schnell nach vorne schauen. Ich sage mal, dass ich am nächsten Tag schon in die Zukunft geschaut habe. Habe versucht, so schnell wie möglich einen Operationstermin zu finden, was glücklicherweise geklappt hat“, denkt Zeiger zurück, „der Schock am Anfang war natürlich groß, aber als Sportler reift schnell der Gedanke: Es geht weiter!“
So musste sich unser Sommerneuzugang die ersten Partien der Regionalliga-Saison von der Tribüne aus anschauen. Wahrlich nicht einfach. Aber nicht, wie man denken mag, wegen Ergebnissen oder Leistungen, sondern vielmehr, weil einem Vollblut-Fußballer das Herz blutet, wenn man seinen Kollegen nicht helfen kann. „Die Stunden nach der Operation waren ganz klar nicht so schlimm, wie auf der Tribüne 90 Minuten zuschauen zu müssen. Man muss ehrlich sagen, dass die Operation sehr gut gelaufen ist, das hat diesen Punkt vereinfacht“, schmunzelt Zeiger.
Der 24-Jährige ist ein Kind der letzten Stunde, wurde wenige Monate vor der Wiedervereinigung in Dresden geboren und ist dort auch aufgewachsen – im Venedig an der Elbe. Nun spielt er im einst kargen und von der Kohle schwarzen Ruhrpott. Natürlich sind diese Zeiten vorbei, nichtsdestoweniger bleibt es ein großer Umbruch. „Man kann die Städte nicht vergleichen. Dresden lebt von seiner Altstadt, das gibt es in diesem Ausmaß in Essen nicht. Essen ist eine Stadt der Moderne und mir gefällt es sehr gut. Ich bin froh, hier zu sein. Es gibt viele Grünanlagen“, lobt Zeiger und spricht leiser weiter, „das hätte ich von einer Stadt im Ruhrgebiet nicht erwartet.“
Last-Minute-Kind der DDR
Am 5. September feierte Zeiger endlich sein Saisondebüt in der Regionalliga. Das Datum wird in der kurzfristigen Historie (leider) eine gewichtige Rolle im Essener Stadtgebiet spielen. Für den Innenverteidiger war es nicht nur sein erstes Regionalliga-Spiel für Rot-Weiss Essen, sein erstes Derby gegen Kray, sondern auch seine erste Niederlage im Trikot von Rot-Weiss Essen. „Ganz ehrlich: Es hätte schönere Debüts geben können. Es war ein schwieriges Spiel für uns, aber am Ende hat dann doch das Gefühl überwogen, endlich wieder auf dem Platz zu stehen, fit zu sein und der Mannschaft helfen zu können.“
Gesagt getan: Seit seinem zweiten Einsatz in der Weststaffel für unsere Jungs von der Hafenstraße stand Zeiger immer 90 Minuten auf dem Platz – und seitdem ist RWE ungeschlagen, gewann drei Spiele und schaffte sogar einen Sieg ohne Gegentor – ein seit dem zweiten Spieltag unbekanntes Glücksgefühl, besonders für unseren Defensivspezi Marc Fascher auf der Trainerbank: „Philipp hat mit seiner Körpersprache und seiner Art, Fußball zu spielen der Mannschaft sehr geholfen.“
Zeiger selbst bleibt, wie bei allen Fragen die sein Können und seine defensive Finesse betreffen eher zurückhaltend: „Ich bin bei RWE angekommen, eigentlich schon seit Tag eins. Ich denke, dass ich mit meinen Leistungen relativ zufrieden sein kann, wenn man an die Verletzung zurückdenkt. Es ist natürlich noch nicht alles Gold, was glänzt, aber insgesamt bin ich schon zufrieden.“ Als ob es der Defensivmann nicht lassen könnte, schränkt Zeiger ein: „Es ist noch viel Luft nach oben. Ich bin wieder zu 100 Prozent fit, aber gerade in den ersten Spielen nach der Verletzung war ich noch nicht an diesem Punkt angekommen.“
Doch wie sieht Zeiger selbst seine Rolle? Wie hoch ist sein Anteil am Erfolg? „Das will ich selber gar nicht bewerten. Mein Trainer kann und muss das bewerten, auch die Zuschauer oder von mir aus andere Leute. Ich gehe meinen Weg, gebe immer Gas und versuche, meine beste Leistung auf den Platz zu bringen.“ Wohltuend ist diese Bescheidenheit, die nicht künstlich klingt.
Dennoch ist Zeiger, wie Fascher sagen würde, „ein wichtiger Mosaikstein“. Der Ex-Haller hat mitgeholfen, die zu Beginn vermisste Balance zwischen treffsicherer Offensive und – in Bezug auf die ganze Mannschaft – einer nicht immer sattelfesten Defensivarbeit zu verbessern. „Wir haben schon extrem viele Gegentore fressen müssen. Wenn ich da an Oberhausen und Kray denke, als wir jeweils vier Gegentore bekommen haben, da hat sich auch in der Mannschaft ein Bewusstsein entwickelt, dass es so nicht weiter gehen kann“, erklärt Zeiger die Reaktion unserer Jungs, „man schießt nicht jedes Spiel vier Tore, sodass man es ausgleichen kann. Wir schießen in jedem Spiel ein Tor, und wenn wir dann die Null halten, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir gewinnen.“
Zusammenhalt notwendig
Zeigers Schlüssel ist die Arbeit im Verbund; das Agieren als eingeschworene Gemeinschaft: „Das zeigt sich doch, wenn auch langsam.“
Doch der 1,94 Meter große Abwehrmann kann nicht nur Tore verhindern. Gegen den SC Verl erzielte Zeiger sein erstes Tor für RWE; zugleich sein erstes Tor im Stadion Essen. Zeiger: „Für mich ist es immer ein schönes Gefühl, weil ich jetzt nicht so viele Tore schieße. Besonders schön war es, weil ja auch ein paar Zuschauer vor Ort waren (lacht). Es war schon ein geiles Gefühl, das könnte ich gerne wieder haben.“ Ich denke, der Bitte um Wiederholung schließen sich viele an. Mach es noch einmal, Philipp!