14. Januar 2015

„Im heißen Borussen-Ansturm konterte Rot-Weiss eiskalt“

Rot-Weiss Essen gegen Borussia Mönchengladbach – das waren in den sieben rot-weissen Bundesligajahren zwischen 1966 und 1977 absolute Fußballleckerbissen. Die Fohlenelf wurde in dieser Zeit fünfmal Deutscher Meister und einmal Vizemeister. Doch RWE gelang es immer wieder, der erfolgsverwöhnten Mannschaft eine überraschende Niederlage beizufügen. Drei Spiele sind den Essener Fans dabei besonders in Erinnerung geblieben.

Die Schlammschlacht an der Hafenstraße (1969/70)
In der Bundesligasaison 1969/70 musste RWE ein unglaubliches Restprogramm absolvieren. Witterungsbedingt hatte es zahlreiche Spielausfälle gegeben. Der DFB bestand aber darauf, dass wegen der anstehenden Weltmeisterschaft in Mexiko die Saison am 3. Mai 1970 endete. Und so absolvierte RWE innerhalb von 23 Tagen acht Bundesligaspiele. Legendär in dieser Serie ist die Regenschlacht gegen Borussia Mönchengladbach am 21.April 1970. Seit den frühen Morgenstunden hatte es in Strömen geregnet und die Spielfläche in ein Schlammfeld verwandelt. Trotzdem pfiff der Schiedsrichter die Partie an. Die RWE-Spieler gingen mit vollem Einsatz zur Sache. Borussia Mönchengladbach beschränkte sich auf das Verteidigen des Unentschieden und ein Schönwetterspieler wie Günther Netzer sehnte einfach nur das Spielende herbei. Das RWE-Team wühlte sich dagegen förmlich durch den Morast und die Angriffbemühungen wurden in der 82. Minute belohnt. Eine schöne Flanke von Weinberg köpfte Lippens über den chancenlosen Kleff ins Gladbacher Tor.

Als einzige Bundesliga-Mannschaft blieb RWE in der Saison 1969/70 zu Hause unbesiegt und belegte am Ende den 12. Tabellenplatz. Insgesamt hielt die einmalige Serie 52 Heimspiele an. Das stimmgewaltige Essener Publikum hatte als „zwölfter Mann“ einen großen Anteil daran. Borussia Mönchengladbach wurde trotz der Niederlage im Georg-Melches-Stadion zum ersten Mal Deutscher Meister.

Essen nahm die Festung Bökelberg (1975/76)…
Eine erneute Überraschung gelang RWE am 21. Februar 1976. Borussia Mönchengladbach war seit 22 Meisterschaftsspielen zuhause unbesiegt. Rot-Weiss Essen kam als Tabellenzehnter zum souveränen Spitzenreiter an den Bökelberg. Da RWE die letzten fünf Spiele nicht gewonnen hatte, setzten nur die treuesten Fans auf einen rot-weissen Erfolg. Doch Trainerfuchs Ivica Horvat hatte seine Mannschaft taktisch hervorragend eingestellt. Das Gladbacher Spiel über die schnellen Außenpositionen mit Allan Simonsen und Jupp Heynckes wurde erfolgreich unterbunden und RWE kam über die laufstarken Defensivspezialisten Hansi Dörre und Werner Lorant zu überfallartigen Konterangriffen. Die frühe Gladbacher 1:0 Führung konnte so mit einem Doppelschlag in der 30. und 31. Minute zu einem Essener Sieg verwandelt werden. Horst Hrubesch traf per Kopf zum Ausgleich und Werner Lorant aus 16 Metern mit einem Flachschuss ins kurze Eck zum 2:1. Es folgte eine wahre Abwehrschlacht, bei der nach einer roten Karte für Hans-Günter Neues in den letzten 30 Minuten nur noch 10 Essener auf dem Feld standen.

… und revanchierte sich so an Udo Lattek
Der Sieg beim Deutschen Meister war eine besondere Genugtuung für die rot-weisse Seele. Denn eigentlich sollte Gladbachs Coach Udo Lattek in dieser Spielzeit auf der Essener Trainerbank sitzen. Im Januar 1975 war der Meistertrainer nach fünf erfolgreichen Jahren bei Bayern München gefeuert worden. Und seine nächste Vertragsunterzeichnung nahm der in Köln wohnhafte Fußballtrainer in der Ruhrgebietsmetropole vor. Ein mehrwöchiger Vertragspoker ging seiner Verpflichtung voraus. In Essen sah man schon die Goldenen Fünfziger wieder aufleben. Doch trotz schließlich erfolgter Vertragsunterzeichnung saß Udo Lattek nie auf der Essener Trainerbank. Als sich nämlich Hennes Weisweiler entschied, von Borussia Mönchengladbach zum FC Barcelona zu gehen, holte ihn Gladbachs Manager Helmut Grashoff zum Bökelberg. „Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes hätten?“, begründete Lattek seine Entscheidung. Gladbach soll 25 000 Mark dafür an RW Essen überwiesen haben.

Anstelle von Udo Lattek übernahm Ivica Horvat in der Saison 1975/76 das Traineramt und führte RWE zu seiner erfolgreichsten Bundesligasaison. Mit Platz 8 verpassten die Rot-Weissen wegen des schlechteren Torverhältnisses damals nur knapp den UEFA-Cup-Wettbewerb. Borussia Mönchengladbach wurde erneut Deutscher Meister.

Hoffnung auf den Klassenerhalt (1976/77)
In Essens letzter Bundesligasaison keimte nach einem völlig verkorksten Saisonstart zum Ende der Hin- und Anfang der Rückrunde noch einmal Hoffnung auf den Klassenverbleib auf. RWE holte in der Bundesliga seit dem Dezember 10:6 Punkte, dazu Siege in der 3. Runde, im Achtel- und Viertelfinale des DFB-Pokals. Dennoch war man am 5. März 1977 an der Hafenstraße gegen Tabellenführer Borussia Mönchengladbach klarer Außenseiter. Doch erneut zeigte sich das große rot-weisse Kämpferherz und ließ die Gäste nie zu ihrem gefürchteten Konterspiel kommen. Mit einem seiner berühmten Kopfballtore gelang Horst Hrubesch in der 73. Minute das 1:0. Die erfolgreiche Serie war auf 12:6 Punkte ausgebaut. Nur noch drei Punkte Rückstand auf den rettenden 15. Platz, dazu stand RWE im Halbfinale des DFB-Pokals. Doch anschließend folgte eine Serie von 5:15 Punkten und eine 0:4 Niederlage im DFB-Halbfinale beim 1. FC Köln. RWE stieg zum dritten Mal aus der Bundesliga ab, Borussia Mönchengladbach feierte die dritte Meisterschaft in Folge.

Es gibt noch eine weitere besondere Trainergeschichte in der Beziehung beider Vereine: Erfolgstrainer für drei Spiele

„Holger Fach wird neuer Trainer des Regionalligisten Rot-Weiss Essen“. titelte die Rheinische Post in der Spielzeit 2003/04. Der ehemalige Nationalspieler war zuvor als Scout für Gladbach tätig, trainierte zuletzt die Oberliga-Amateure der Borussen und führte mit seiner Mannschaft die Tabelle an. Dennoch erteilte ihm Mönchengladbach Ende August 2003 die Freigabe für einen Wechsel nach Essen. Dort trat er die Nachfolge von Harry Pleß an, von dem sich die Essener nach der 0:2-Heimniederlage gegen den KFC Uerdingen und nur fünf Punkten nach fünf Spielen getrennt hatten.

Sein Einstand war glänzend, mit drei Siegen (4:2 gegen Wattenscheid, 2:1 in St. Pauli, 2:0 gegen Dynamo Dresden) fand die Mannschaft wieder Anschluss an das obere Tabellenviertel. Doch nach gut drei Wochen musste ihm RWE die Freigabe für die Bundesligamannschaft von Borussia Mönchengladbach erteilen, deren Trainer Ewald Lienen gerade gefeuert worden war. Eine sonderbare Ausstiegsklausel für den Fall, dass der Niederrheinvertreter ihn für die Bundesliga zurück haben wollte, ermöglichte den plötzlichen Abgang.

Fach selber meinte im Spiegel-Interview: „Dass es so schnell geht, konnte keiner vorhersehen. Das ist weder für mich, noch für Rot-Weiss Essen eine leichte Situation. Es ist aber normal, dass es kein Halten mehr gibt, wenn ein Erstligist anfragt. Ich gehöre nun zu den 18 Privilegierten im deutschen Fußball und habe einen Job, um den mich wohl Millionen Menschen beneiden. Da musste ich nicht lange überlegen.“

Als Nachfolger von Holger Fach wurde Jürgen Gelsdorf engagiert. der nach der Entlassung von Harry Pleß telefonisch nicht erreichbar gewesen war. Er sollte sich als Glücksfall für den Verein erweisen und führte Rot-Weiss Essen nach sieben Jahren 2004 endlich wieder in die 2. Bundesliga.

Text: Georg Schrepper