30. Mai 2015
„Müssen selbstbewusst sagen: Wir sind RWE!“
Der rot-weisse Vorstandsvorsitzende mit einem Rück- und Ausblick zum Saisonende.
Die Saison ist gespielt, der wohlverdiente Urlaub nach 12 intensiven Monaten Hafenstraße angetreten. Für Prof. Dr. Michael Welling ist es trotz Urlaub Zeit, einen Blick zurück sowie einen Blick voraus zu werfen. Der rot-weisse Vorstandsvorsitzende über das Auf und Ab der vergangenen und wichtige Entscheidungen für die kommende Saison.
Hallo Michael! Am vergangenen Wochenende ist eine sogar für Hafenstraßenverhältnisse recht turbulente Saison zu Ende gegangen. Wie würdest du die Spielzeit abschließend beurteilen?
MW: Es ist natürlich immer schwer, zwölf Monate voller Ereignisse in einem knappen Fazit unterzubringen. Ich würde hier mal das Wort „durchwachsen“ wählen. Nimmt man den mäßigen Saisonstart, die tolle Aufholjagd mit der Tabellenführung zum Jahreswechsel, dann die beispiellose Negativserie Anfang des Jahres und schließlich den Gewinn des Niederrheinpokals sowie den Einzug in den DFB-Pokal, so war es sportlich ein ständiges auf und ab.
Blicken wir mal zurück auf den Saisonstart: Die Jungs sind nicht gut reingekommen in die Spielzeit. Bist Du da ab und an mal unruhig geworden, die Saison könnte komplett nach hinten losgehen?
MW: Nein, absolut nicht. Es war schon klar, dass die Mannschaft ihre Zeit brauchen wird, um sich zu finden. Mich hat es am Anfang beruhigt, dass sich die Jungs immer reingehauen und gekämpft haben, dass sie viele Rückstände aufgeholt und Moral gezeigt haben. Wegen dieser Einstellung sind sie dann zur Halbserie an der Spitze gestanden. Wenn auch mit etwas Glück.
Herbstmeister, Winterpause, Ruhe. Wahrscheinlich hast du – wie alle anderen Rot-Weissen auch – die Zeit zwischen dem 12. und 22. Dezember sehr genossen…
MW: Absolut. Das war ein schönes Gefühl dort oben zu stehen. Kurz vor Weihnachten dann aber die Nachricht von der positiven Dopingprobe von Cebio zu bekommen, hat mich dann aber doch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich kenne Cebio jetzt seit knapp drei Jahren und ich habe ihn in dieser Zeit immer als sympathischen, fairen und vor allem ehrlichen Menschen erlebt. Entsprechend froh war ich auch, als sich seine Version der unabsichtlichen Einnahme durch die Untersuchung eines unabhängigen Instituts bestätigt hat. Er hat sich durch das abgleichen der Inhaltsstoffe mit der Dopingliste versichert, dass er gegen keine Richtlinien verstößt. Er hätte zusätzlich unser Ärzteteam informieren müssen, aber einen solchen Fehler verzeiht man eher, als arglistige Täuschung und das war hier definitiv nicht der Fall.
Dann der Knaller gegen Aachen. Erster gegen Zweiter, ausverkaufter Tivoli, Zuschauerrekord, Liveübertragung. Kein normales Spiel zum Start des neuen Spieljahres…
MW: …sicherlich nicht. Und auch wenn wir gerne aus dieser Liga raus wollen, zeigen diese Spiele, dass auch die Regionalliga West durchaus etwas zu bieten hat. Den Zuschauerrekord müsste sich Alemannia Aachen im Übrigen mit uns teilen, denn ich glaube nicht, dass sie das Stadion gegen einen anderen Gegner so voll gewesen wäre. Wie viele RWE-Fans sich auf den Weg gemacht und unsere Mannschaft dort unterstützt haben, war schon toll. Immerhin musste der zuvor vorgesehene Gästebereich mehrfach erweitert werden.
Du hast es gesagt: Das Spiel ging verloren wie in der Folge weitere vier von sieben Partien. Nur zwei der Begegnungen konnten in dieser Phase gewonnen werden und zusätzlich noch die Trennungen von Uwe Harttgen und Marc Fascher:
MW: Das war sicherlich keine besonders schöne Phase der Saison, wobei man die sportliche Situation und die Beurlaubung von Marc Fascher natürlich komplett von der Kündigung von Uwe Harttgen trennen muss. Bei der Trennung von Uwe Harttgen ging es um einen unverzeihlichen Vertrauensbruch gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat, so dass die Basis für eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben war. Im Falle der Trennung von Marc Fascher waren wir nach den Ergebnissen vor allem aber auch dem Auftreten in den letzten Spielen der Meinung, dass wir einen Impuls setzen mussten, um die Saison halbwegs in gewünschte Bahnen lenken zu können. Vor allem – das muss man natürlich zugeben – wollten wir mit Blick auf das Pokalspiel gegen den FC Kray und das Ziel, in den DFB-Pokal einzuziehen, nichts unversucht lassen.
Die neue Konstellation auf der Bank hieß dann Lucas und Reiter…
MW: …wobei uns das zum Zeitpunkt der Beurlaubung noch nicht klar war. Wir wussten nur, dass wir etwas verändern mussten auch um einen neuen Reiz zu setzen. Uns war aber schon bewusst, dass wir diese Personalentscheidungen nutzen mussten, um als Gesamtverein wieder enger zusammenzurücken. Daher wollten wir hier die vorhandene sportliche Kompetenz innerhalb des Vereins nutzen, wollten wir vor allem auch das wieder betonen, was Rot-Weiss ausmacht. Mit Andi, Jürgen, Markus, Damian und Putsche haben wir sportliche Kompetenz und gefühlte 100 Jahre Rot-Weiss beisammen.
Gerade mit Blick auf die Mannschaft musste der neue Trainer jemand sein, der die Mannschaft kannte und sich mit dem Umfeld und den Eigenarten von RWE identifizieren kann. Daher waren die spontanen Zusagen von Jürgen Lucas und Markus Reiter natürlich perfekt.
…und erfolgreich! Immerhin endete die Saison mit dem Gewinn des Niederrheinpokals mit einem emotionalen Höhepunkt.
MW: Das stimmt, wobei ich nicht allein das Ergebnis des Gewinns des Niederrheinpokals sehe, sondern auch den Weg dorthin. Die neue Spielweise, die die Mannschaft unter dem Trainerduo und später allein unter Markus Reiter an den Tag gelegt hat, bzw. die auf den Weg gebracht wurde, entspricht auch langfristig dem Fußball, den wir an der Hafenstraße spielen wollen: aktiv und bissig in der Defensive, variabel und spielstark in der Offensive. Das soll auch in Zukunft der Weg sein.
Stichwort Spielphilosophie?
MW: Ganz genau! Vor allem Andreas Winkler, Markus Reiter und Jürgen Lucas haben sich diesem Thema angenommen und gemeinsam eine Spielphilosophie erarbeitet. Dabei geht es nicht im Stile des FC Barcelona oder Ajax Amsterdam um ein enges und festdefiniertes Spielsystem, sondern um die Frage, welche Art von Fußball zur Hafenstraße passt. Wie sich Fussball an der Hafenstrasse anfühlen soll, wie es schmeckt. Was ist Hafenstraßenfussball? Wie wollen wir unseren Gegnern gegenüber auftreten? Daraus ergibt sich dann eben auch die Trainerwahl und die Entscheidung für diesen oder jenen Spieler.
Der Zeitpunkt der Personalentscheidungen wirkt für viele Rot-Weisse im Vergleich zu den Vorjahren recht spät. Die neue Saison nähert sich mit großen Schritten und aktuell hört man mit Ausnahme von Neuzugang Tom Gubini wenig zu neuen Personalien…
MW:…was aber doch nicht zwangsläufig heißt, dass im Hintergrund nicht daran gearbeitet wird. Dabei geht es zunächst natürlich auch um die Position des Chef-Trainers.
Die Mannschaft steht ja im Gerüst bereits. Ich glaube die Qualität des Kaders ist unbestritten. Wir sind mit den Jungs Herbst- und Wintermeister geworden, das heisst, dass wir die Fähigkeit haben, mit diesem Kader ganz oben dabei zu sein. Und der Großteil der Jungs spielt glücklicherweise auch in der kommenden Saison für uns, vor allem wenn man die Anteile an den Spielzeiten sieht. Mit Ausnahme von Tim Hermes verlässt uns erstmal kein Spieler, der mehr als 50% der Spiele gemacht hat. Ich habe das jetzt nicht ausgerechnet, aber ich würde vom Gefühl her sagen, dass die Spieler die bleiben für 90% der Spielminuten in der abgelaufenen Saison stehen. Da ist der Umbruch im Vergleich zu anderen Mannschaften der Liga nicht ganz so groß und auch wenn man nüchtern anschaut, wieviele Spieler wir im Vergleich zu zum Beispiel Lotte, Aachen oder Viktoria Köln momentan unter Vertrag haben, dann braucht man nicht nervös zu werden. Aber natürlich werden wir auch noch einige Spieler dazu holen. Kommunizieren werden wir die Personalentscheidungen aber erst, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Wer ernsthaft erwartet, dass wir die kolportierten Namen kommentieren, der hat unsere Arbeitsweise noch nicht verstanden. Wir geben Entscheidungen erst bekannt, wenn sie getroffen und umgesetzt sind im Sinne von vertraglich fixiert. Alles andere halten wir für unseriös.
Zumindest das Gerücht Peter Neururer hast du kommentiert…
MW: Was mich daran gestört hat war, dass in dem Artikel der Eindruck erweckt wurde, eine Person aus dem Verein wäre auf Herrn Neururer zugegangen. Wir beanspruchen für uns, dass wir intern transparent und geschlossen arbeiten, das muss unserer Meinung nach jetzt der Weg sein. Wenn dann aber gesagt wird, eine Einzelperson spinnt ihre eigenen Ideen, dann geht das meilenweit an der Realität vorbei und führt auch dazu, dass es intern Mistrauen geben kann.
Ich denke dass die Journalisten alle wie wir wissen, dass wir insgesamt sehr gut zusammenarbeiten. Es ist dabei auch völlig normal, dass spekuliert wird – das gehört zum Geschaeft und hält das auch im Gange. Gerade der Reviersport ist hier meist sehr, sehr gut informiert und weit vorne, was Personalien angeht. Die sind in der Szene sehr gut vernetzt und kommen so auch immer an die richtigen und guten Informationen. Bei meiner Replik auf Facebook ging es auch gar nicht darum, hier den Reviersport schlecht zu machen, vielmehr sollte es ein ironisch verpacktes Dementi der Peter Neururer Sache sein, die vor allem auf ungeduldige Fans zielte. Von Fanseite hier nun den Reviersport als Ganzes zu verdammen, statt diesen Einzelfall zu sehen, halte ich für unangemessen.
Grundsätzlich meine ich aber: wenn die Spieler wie auch wir als Verein regelmäßig Kritik von Journalistenseite ausgesetzt sind – was in diesem Geschäft selbstverständlich ist – so muss Kritik auch in die andere Richtung erlaubt sein. Aber nochmal: es geht hier nicht um die generelle Arbeit der Zeitung oder bestimmter Journalisten, sondern um einzelne Artikel aus einer Vielzahl erscheinender Beiträge. Ich treffe auch mal Entscheidungen, die sich im Endeffekt als falsch herausstellen und bekomme dafür in der Öffentlichkeit einen drüber. Das ist auch völlig ok.
Richten wir den Blick nach vorne: Neben Personalentscheidungen gibt es im Übergang zwischen Nachwuchs und Senioren noch eine offene Baustelle. Kommt im nächsten Jahr ein Kooperationsverein? Es sind ja in der U19 durchaus einige vielversprechende Jungs dabei.
MW: Das kann man schon so sagen. Ob es nun den einen Kooperationsverein geben wird, ist nicht klar. Möglich ist auch eine Regelung mit verschiedenen Vereinen. Schon jetzt haben wir Spieler an Vereine abgegeben, mit denen wir vertragliche Regelungen vereinbart haben, die es uns erlauben, die Jungs wieder zurück an die Hafenstraße zu holen. Ob wir uns also vertraglich an einen Verein als einzigen Kooperationspartner binden, oder mit verschiedenen Vereinen diesbezüglich kooperieren, wird man sehen. Aber einen Wiederaufbau der U23 Mannschaft, wie es verschiedentlich von Fans vehemennt gefordert wird, halte ich für unrealistisch und nicht zielführend. Man kann über die Abschaffung der U23 trefflich streiten, es gibt viele Argumente dagegen und viele Argumente dafür. Wir haben uns im letzten Jahr für die Abmeldung entschieden und müssen die Nachteile heute auch in Kauf nehmen und versuchen, diese durch eben andere Lösungen zu reduzieren wie eben das Thema Förderspiele und Fördertrainings – die im Vergleich zur letzten Saison deutlich häufiger stattfinden werden – sowie das Thema Kooperationsverein. Die Diskussion wird hier sehr emotional geführt, was ich verstehen kann, aber es ist unrealistisch, heute einen Mannschaft in der Kreisliga C zu melden mit dem Ziel, dass die in 10 Jahren oder mehr wieder in der Oberliga spielt.
Generell war die Saison für die Jugendabteilung eine absolute Erfolgsgeschichte. Alle Mannschaften spielen im nächsten Jahr in der höchstmöglichen Spielklasse. Fehlt nur noch die Anerkennung als Nachwuchsleistungszentrum. Wann dürfen wir damit rechnen?
MW: Eigentlich jeden Moment. Jetzt, wo wir sprechen, könnte die Bestätigung vom DFB kommen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und aktuell steht nur noch die Bestätigung durch den DFB aus. Das wäre für die gesamte Jugendabteilung natürlich ein besonders wichtiger Schritt, um unsere Talente zu binden.
Eine abschließende Frage: Am Wochenende des 31. Juli steht der erste Regionalliga-Spieltag an. Mit welchem Ziel geht es in die neue Spielzeit?
MW: Ohne da jetzt Platzierungen nennen zu wollen, ist das Ziel klar: Wir möchten ganz oben mitspielen und angreifen. Wir haben in der letzten Saison, die, wie wir oben schon gesagt haben, sehr durchwachsen war, die Herbst- und Wintermeisterschaft erringen können. Da können wir uns doch jetzt nicht hinstellen und sagen: mal gucken, was passiert. Letztendlich ist aber ein langer Atem entscheidend und wir können keine Meisterschaft und erst recht keinen Aufstieg versprechen, aber klar ist, dass wir bis zum Ende um den Spitzenplatz mitspielen möchten. Die Konkurrenz darf dabei aber natürlich nicht vergessen werden: Aachen, Oberhausen, Köln, Lotte sind immer zu nennen, dazu kommt – wie wir jedes Jahr aus unserer Sicht schmerzlich erleben – immer die eine oder andere U-Mannschaft. Viele Mannschaften haben das Zeug dazu, oben mitzuspielen. Es muss immer vieles passen, wir haben die Möglichkeiten, dabei zu sein und wenn wir eine Einheit werden mit Mannschaft und Fans, kann vieles möglich sein. Wir sollten uns hier auch nicht kleiner machen, als wir sind. Wir zählen entsprechend in dieser Liga – ob wir das mögen oder nicht – immer zum Favoritenkreis. Und auch wenn sich jeder Gegner gegen uns besonders anstrengt, wenn für jeden Gegner das Spiel gegen RWE das Highlight des Jahres ist, muss unser Anspruch sein, dass wir jedes Spiel erfolgreich bestreiten. Das wird nicht immer gelingen, aber wir wollen das – auswärts, vor allem aber auch an der Hafenstraße. Wir müssen uns bewusst sein und selbstbewusst sagen: Wir sind RWE!!!!