27. Oktober 2015

Premiere an der Hafenstraße

Deutschlands 1. Europapokalbegegnung war vor 60 Jahren in Essen.

Nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1955 war RWE der erste Verein, der im neu geschaffenen Europapokal der Landesmeister, dem Vorläufer der heutigen Champions League, die deutschen Farben vertrat.

„Rot-Weiss trägt sein erstes Spiel um den Europapokal der Vereinsmannschaften am kommenden Mittwoch, 17.00 Uhr, im Stadion an der Hafenstraße aus. Gegner ist Schottlands Meister Hibernian Edinburgh.“ Mit dieser Kurzankündigung, eingerahmt in einem schwarz umrandeten Kasten inmitten des Oberligaspielberichtes gegen den SV Sodingen (5:0), wies die Tagespresse auf die deutsche Europapokal-Premiere am 14. September 1955 hin.

Die französische Sportzeitung L’Équipe hatte im Frühjahr 1955 einen Spielmodus, Termine und finanzielle Pläne erarbeitet und Klubs aus 18 europäischen Ländern eingeladen. Im Sommer 1955 nahm sich dann auch die UEFA der Idee an und stellte einen Organisations- und Regelplan für den „COUPE DES CLUBS CHAMPIONS EUROPEENS“ auf.

Essens Läuferreihe ohne Vier

Der Deutsche Meister Rot-Weiss Essen trat zur deutschen Europapokal-Premiere im Stadion an der Hafenstraße mit folgender Aufstellung an: Fritz Herkenrath, Joachim Jähnisch, Zastrau, Kurt Röttger, Heinz Wewers, Willi Köchling, Röhrig, Willi Vordenbäumen, Fritz Abromeit, Vitus Sauer, Günther Steffens.

Mit den verletzten Helmut Rahn und Penny Islacker, dem nach Karlruhe gewechselten Berni Termath sowie August Gottschalk, der seine aktive Laufbahn beendet hatte, fehlte damit das Stürmerquartett der Meistermannschaft. Hibernian Edinburgh trat dagegen in Bestbesetzung an. Die Schotten ließen dem dezimierten Deutschen Meister keine Chance und gewannen 4:0.

Dem Gästeteam wurde von der NRZ bescheinigt, eine „Klassemannschaft gestellt zu haben, die mit ihren Leistungen nicht geizte. Selten spielte in Essen eine bessere Fußballmannschaft.“ Der schottische Meister habe vor allem durch sein taktisches Konzept überzeugt. In der kurzen fuffzehn hieß es anerkennend: „Im ganzen war es eines der schönsten Spiele gegen auswärtige Mannschaften. Was uns die Schotten an Können und Standvermögen zeigten, haben wir selten bei ausländischen Mannschaften schöner gesehen. Es dürfte niemand trotz des Dauerregens und der 4:0-Niederlage bedauert haben, zu diesem Spiel gekommen zu sein.“

Die WAZ kommentierte: „So schnell, so hart, so konsequent spielen Profis, wenn es um etwas geht. Die anwesenden Trainer werden ihren Schülern erzählen, wie eisern trainiert werden muss, um solche Kondition, solche Körperbeherrschung, solche Form zu erlangen. Das kann man nicht in wöchentlichen vier Stunden lernen, dazu braucht es tägliches Üben, und zwar stundenlang.“

Damit war das Dilemma deutlich angesprochen, das den deutschen Fußball trotz des Weltmeisterschaftsgewinn 1954 sportlich schwächte. Das Amateurstatut ließ die Vereine im internationalen Vergleich wegen des im Ausland längst üblichen Profitums hinterherhinken. Beherrscht wurden die Spielrunden um den Europapokal der Landesmeister zunächst eindeutig von Vereinen aus Ländern, die eine nationale Eliteliga besaßen. Beide Voraussetzungen fehlten in Deutschland noch.

1:1 beim Rückspiel unter Flutlicht

Für das Rückspiel am 12. Oktober 1955 war also Wiedergutmachung angesagt. Und dabei gelang dem RWE vor 30.000 Zuschauern mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung ein leistungsgerechtes 1:1-Unentschieden. Der schottische Meister ging bereits nach sechs Minuten mit 1:0 in Führung. Auch die Essener waren bald wieder geschwächt. Heinz Wewers wurde so schwer am Knie verletzt, dass er 20 Minuten lang aussetzen musste und später nur noch Statist auf dem Platz war. Eine Wechselmöglichkeit gab es im Europapokal ja ebenso wenig wie in allen anderen Wettbewerben. Penny Islackers alte Verletzung machte sich ebenfalls wieder bemerkbar. Dennoch gelang Rechtsaußen Fritz Abromeit mit einem prächtigen Schuss kurz nach der Halbzeit der Ausgleichstreffer. Dabei blieb es, und die schottischen Zeitungen bescheinigten RWE, dass sie ein verdientes Unentschieden erreichten, da sie „mit voller Kraft und großem Einsatz gespielt hatten.“

Für RWE war das Spiel aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt von Bedeutung. Es wurde unter Flutlicht ausgetragen, und noch heute befindet sich im RWE-Archiv das Programmheft zum Spiel. Darin ist mit Bleistift eine Annonce des Erbauers der Flutlichtanlage markiert. Eine Anfrage ging bald darauf an diese schottische Firma, Miller & Stables, die mit Schreiben vom 11. Januar 1956 ein ausführliches Angebot schickte.

Sieben Monate später erfolgte die Flutlichtpremiere an der Hafenstraße, allerdings mit einer Anlage der Siemens-Schuckertwerke. Bei dieser waren 120 Scheinwerfer auf vier Flutlichtmasten verteilt, und sie garantierte eine mittlere Beleuchtungsstärke von 140 Lux bei klarsichtigem Wetter.