3. November 2015

Breilmanns Wiese: „Müssen geschickt auswählen“

Nachwuchsleiter Markus Reiter im Interview.

Markus Reiter weiß, wovon er spricht. Der 39-jährige Fußballlehrer und Ex-Profi leitet seit Saisonbeginn das vom DFB anerkannte Nachwuchsleistungszentrum von Rot-Weiss Essen. Wie es um die rot-weisse Talentausbildung bestellt ist, erzählt Reiter im Interview.

Seit dem 1. Juli bist Du offiziell Leiter der Nachwuchsabteilung bei Rot-Weiss Essen. Wie gut gefällt Dir die neue Rolle?

Markus Reiter: Die Position ist vielseitig und interessant. Ich stehe zwar nicht mehr so häufig selbst auf dem Platz wie zu meinen Trainerzeiten. Dafür lerne ich außerhalb des Spielfeldes sehr viele Leute kennen und muss mich mehr um administrative Aufgaben kümmern. Das macht großen Spaß und erweitert meinen Horizont.

Du ziehst eher im Hintergrund die Fäden. Wie müssen wir uns Deinen Tagesablauf vorstellen?

Reiter: Bei unseren insgesamt zehn Jugendmannschaften steht unter anderem viel Büroarbeit und Verwaltungsaufwand für mich auf dem Programm. Organisatorische Dinge, die unter anderem die A- und B-Junioren-Bundesligamannschaften betreffen, müssen geklärt werden. Auch die Verschönerung unserer Anlage an der Seumannstraße sowie die Umgestaltung der Jugendgeschäftsstelle und die Kontaktpflege zur Stadt Essen gehören zu meinen Aufgaben. Wenn es erforderlich ist, helfe ich auch bei der Trainingsarbeit aus.

Seit wenigen Monaten ist die RWE-Jugendabteilung offiziell als NLZ anerkannt. Welche Projekte stehen in Zukunft an?

Reiter: Zunächst einmal war die Anerkennung durch den DFB ein Meilenstein für unseren Verein. Dadurch haben wir beispielsweise viel bessere Möglichkeiten, unsere Talente an uns zu binden. Dass wir jetzt als NLZ anerkannt sind, heißt aber nicht, dass die Entwicklung abgeschlossen ist. Ganz im Gegenteil! Ein Schwerpunkt für die Zukunft wird sein, die Entwicklung unserer jungen Trainer weiter voranzutreiben. Hier verfügen wir über enormes Potenzial. Wir arbeiten sehr eng zusammen. In den Gesprächen mit den Trainern werden auch Methoden und Verhaltensweisen besprochen, um das Training zu optimieren und unsere Mannschaften noch besser zu machen. Wenn wir es schaffen, die U 19 und U 17 dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren, dann haben wir einen großen Schritt gemacht.

Beide Mannschaften haben einen sehr guten Saisonstart hingelegt, rangieren aktuell im gesicherten Mittelfeld. Wie fällt Deine Zwischenbilanz aus?

Reiter: Die U 17 hatte bereits zu Beginn der Saison, obwohl die Ergebnisse nicht gleich stimmten, ganz klar angedeutet, dass sie in der Bundesliga bestehen kann. Mit vier Siegen in Folge, darunter auch die Erfolge gegen Schalke 04 und den 1. FC Köln, bestätigen unseren Optimismus und sind das Ergebnis harter Arbeit. Die U 19 hat bislang voll überzeugt und präsentiert sich als Aufsteiger hervorragend. Es ist schön zu sehen, was kontinuierliche Trainingsarbeit bewirken kann. Wir hoffen, dass wir schon bald den nächsten Schritt machen und auch die jüngeren Spieler, die noch nicht so zum Zuge gekommen sind, Stück für Stück an die Startformation heranführen können.

Es sieht so aus, als könnte der Klassenverbleib diesmal schon recht frühzeitig gesichert werden, wenn sich die Entwicklung fortsetzt. Kann deshalb vielleicht schon im Winter mit den Planungen für die kommende Saison begonnen werden?

Reiter: Wir beschäftigen uns schon jetzt mit der neuen Spielzeit. Durch den Erfolg beider Bundesligateams, über den wir uns freuen, gerät aber auch der ein oder andere U 17-Spieler in den Fokus anderer Vereine. Wir wollen die Tür für andere nicht zu weit öffnen, sondern arbeiten daran, talentierte Spieler dauerhaft an uns zu binden. Darüber hinaus behalten wir ständig im Auge, welche Spieler aus unserer U 16 schon so weit sind, dass sie den Sprung von der Niederrheinliga in die Bundesliga schaffen können.

Wie wichtig sind das Fördertraining und die Förderspiele für die jungen Talente?

Reiter: Wir haben regelmäßige Fördertrainingseinheiten im Verein etabliert. Einmal pro Woche trainieren U 19-Spieler mit der ersten Mannschaft. Die Einheiten sind auch ein guter Indikator für die Jungs, woran sie noch an sich arbeiten müssen. Obwohl sie schneller sind, verlieren sie beispielsweise Zweikämpfe gegen erfahrenere Spieler, die verschiedene Spielsituationen einfach anders lösen. Auch zwischen der U 19 und U 17 gibt es einen ständigen Austausch. So haben wir in den Herbstferien schon einige B-Junioren-Talente ins das Training der A-Jugend integriert, um sie schon an das höhere Niveau zu gewöhnen.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Sportdirektor Andreas Winkler, der zuvor selbst viele Jahre für den RWE-Nachwuchs verantwortlich war?

Reiter: Wir kennen uns schon sehr lange, die Zusammenarbeit klappt hervorragend. Es findet ein regelmäßiger Austausch statt. Einmal in der Woche setzen wir uns zusammen mit U 19-Trainer Jürgen Lucas an einem Tisch und besprechen die wichtigsten Themen.

Die Konkurrenz im Ruhrgebiet ist sehr groß. Wie schafft es RWE – trotz direkter Nachbarschaft zu Profiklubs wie Schalke 04, dem BVB, VfL Bochum oder MSV Duisburg – als Viertligist, immer wieder schlagkräftige Bundesliga-Mannschaften zu stellen?

Reiter: Die Konkurrenz hat für uns auch ihre Vorteile. Im Schatten der großen Vereine wird es immer Spieler geben, die dort den Sprung nicht schaffen. Daher sind wir auch ein wenig ein Sammelbecken für diese Spieler. Wir müssen geschickt auswählen, weil es auch Gründe für das Scheitern gibt. Nicht jeder, der es beispielsweise bei Schalke nicht schafft, ist für uns sofort eine Verstärkung. Über diesen Schritt sind wir schon lange hinaus. Wir sind gut vernetzt und schaffen es deshalb immer wieder, junge Spieler für den Verein Rot-Weiss Essen zu begeistern.

Als Nachwuchskicker haben beispielsweise Weltmeister Mesut Özil und HSV-Torjäger Pierre-Michel Lasogga für RWE gespielt. In jüngerer Vergangenheit verließen unter anderem die Torhüter Hendrik Bonmann und Nicolas Moritz den Verein. Sind die besten Talente nicht zu halten?

Reiter: Bei den Abgängen von Bonmann zu Borussia Dortmund oder Nicolas zu Borussia Mönchengladbach sprechen wir über Vereine, die sich auf europäischem Top-Niveau bewegen. Wenn ein solcher Klub Interesse zeigt, ist es naturgemäß schwer bis unmöglich, die Jungs zu halten. Ich spreche dabei noch nicht einmal vom Geld. Das Flair, das sich diese Vereine über Jahrzehnte erarbeitet und aufgebaut haben, gemischt mit den ehrgeizigen Zielen der Spieler, sind so reizvoll, dass wir nicht mehr mithalten können.

Die Nachwuchsausbildung bei RWE kann auf vielen Ebenen durchaus mit Profi-Verhältnissen mithalten. Warum schaffen dennoch so wenig Spieler den Sprung in die erste Mannschaft, die ja „nur“ in der 4. Liga spielt?

Reiter: Eines vorweg: Die Regionalliga West ist aus meiner Sicht die stärkste Staffel. Die Ansprüche und die Anforderungen an die Spieler sind dort schon sehr hoch. Eines unserer Ziele ist es deshalb, möglichst Talente nach oben abzugeben, die in der U 17 und U 19 schon drei, besser sogar vier Jahre Bundesliga-Erfahrung gesammelt haben. Wenn uns das gelingt, dann bin ich zuversichtlich, jedes Jahr zwei oder drei Spieler für die erste Mannschaft hervorzubringen.

Vor der Saison hast Du – damals noch unter Federführung von Andreas Winkler – an einer neuen Spielphilosophie mitgearbeitet, die den Namen „Hafenstraßen-Fußball“ bekam. Was dürfen wir darunter vorstellen?

Reiter: Der Ball steht bei uns im Vordergrund. Unser Spiel soll aktiv auf Ballgewinn ausgerichtet sein. Darüber hinaus wollen wir uns permanent Torchancen erarbeiten. Diese gemeinsame Philosophie soll bei der U 17 und auch bei der U 19 langfristig greifen, um die Spieler noch besser auf den Männerfußball vorzubereiten.

Ein Problem in Essen ist die Platzsituation. Aktuell bestreitet die U 19 ihre Ligaspiele meist als Gast auf der Anlage in Überruhr oder „Am Hallo“, die U17 weicht an den Sachsenring aus. Warum muss auf fremden Sportplätzen gespielt werden?

Reiter: Unsere Platzanlage an der Seumannstraße erfüllt nicht die DFB-Anforderungen für die Junioren-Bundesliga, kann deshalb auch in Zukunft nur als Ausweichspielstätte genutzt werden. Um das zu ändern, müsste ein neuer Platz gebaut werden. Davon ist aber zu aktuellem Zeitpunkt nicht auszugehen.

Was muss ein junger Mensch neben Talent mitbringen, um sich im harten Fußballgeschäft durchzusetzen?

Reiter: Ein Spieler sollte aus einem gesunden Umfeld kommen und die Fähigkeit zur Selbstkritik besitzen. Ehrgeiz und Trainingsfleiß sind ebenfalls Grundvoraussetzungen. Auch eine möglichst optimale schulische Ausbildung wird immer wichtiger. Nur auf die Karte Fußball zu setzen, ist in den meisten Fällen kontraproduktiv. Der Spieler steckt sonst in einer Einbahnstraße fest, hat keine anderen Auswege, wenn es Probleme geben sollte.

Du hast während Deiner aktiven Zeit in der 1. und 2. Bundesliga für den MSV Duisburg, Borussia Mönchengladbach und die SpVgg Greuther Fürth am Ball, gehörtest auch zum Kader der U 21-Nationalmannschaft. Wie sehr hat sich der Fußball seitdem verändert?

Reiter: Das gesamte Spiel ist athletischer und schneller geworden, auch die technischen Fähigkeiten der einzelnen Spieler wurden kontinuierlich verbessert. Die Mannschaften stehen heute – sowohl in der Vorwärts- als auch Rückwärtsbewegung – deutlich kompakter.

Bereits mit 25 Jahren hast Du Deine Laufbahn beendet. Warum?

Reiter: Ich habe den Fußball in all seinen Facetten kennengelernt. Nachdem ich einige Verletzungsprobleme hatte, wurde mein Vertrag beim damaligen Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth nicht verlängert. Danach hatte ich auch ein Angebot aus dem Ausland. Der griechische Erstligist Panionios Athen, der damals sogar im Europapokal spielte, hatte sich um mich bemüht. Aber ich dachte damals, dass ich in Deutschland noch einen Verein finden würde. Im Nachhinein hat sich das als eine Fehleinschätzung herausgestellt. Rückblickend hätte ich den Schritt ins Ausland wagen sollen.

Von 2004 bis 2008 hast Du bei RWE im Jugendbereich erste Trainererfahrung gesammelt. War Dir schon damals klar, dass Du irgendwann zurückkehren möchtest?

Reiter: Damit war nicht unbedingt zu rechnen und es war auch nicht geplant. Damals habe ich als U 14-Trainer bei RWE angefangen und mich dann hochgearbeitet. Wenn man so will, schließt sich für mich jetzt der Kreis.