28. Dezember 2020
Der Bundesligaskandal von 1971


Nach 13 Spielen ohne Sieg – RWE unschuldig abgestürzt
Eine Berg- und Talfahrt erlebte Rot-Weiss Essen vor 50 Jahren in seiner insgesamt dritten Bundesligasaison. Nach einem Traumstart in die Spielzeit 1970/71, einem Mittelfeldplatz am Ende der Hinrunde und einem gelungenen Auftakt in die Rückrunde, stürzte die Mannschaft von der Hafenstraße bis auf den letzten Tabellenplatz ab. So richtig konnte sich das keiner erklären. Am Sonntag nach dem letzten Spieltag platzte dann die Bombe – Bundesligaskandal. Doch der Reihe nach:
Tabellenspitze – Mittelfeld -Abstieg
Nach drei Spieltagen stand RWE mit 5:1 Punkten und 6:0 Toren an der Tabellenspitze und verteidigte diese sogar mit einem 2:2 bei Bayern München. Danach wechselten sich Sieg und Niederlage ab, so dass man am Ende der Hinrunde den achten Tabellenplatz belegte. Auch der Heimstart in das Jahr 1971 verlief zunächst erfolgreich. Gegen Arminia Bielefeld gab es einen 2:1 Erfolg und Bayern München verlor sogar mit 3:1 im Georg-Melches-Stadion. Die Journalisten waren sich einig: „Dieser Sieg könnte der wertvollste gewesen sein, wenn im Mai abgerechnet wird, denn 20 Punkte hat RWE schon im Sack.“
Im nächsten Auswärtsspiel holte das Team von der Hafenstraße bei Rot-Weiß Oberhausen ein 0:0 Unentschieden. Damit kletterte man erneut auf Platz 8 in der Tabelle bei 7 Siegen, 7 Unentschieden, 8 Niederlagen und 21:23 Punkten. Mit der damaligen Zwei-Punkte-Regel war das nach 22 Spieltagen ein gutes Polster. Doch das scheinbar schier Unmögliche wurde traurige Wirklichkeit. RWE holte aus den verbleibenden 12 Spielen nur noch zwei Punkte und musste als Tabellenletzter absteigen. Die ebenfalls gefährdeten Klubs Bielefeld, Offenbach und Oberhausen sammelten dagegen Punkte um Punkte – durch Manipulation.
Nach dem letzten Bundesligaspieltag machte Kickers Offenbachs Präsident Horst-Gregorio Canellas Canellas auf seinem 50. Geburtstag mit Tonbandaufnahmen von Telefonaten den Skandal publik.
„140.000 Mark her- oder wir verlieren"
… titelte die Bild-Zeitung am 7. Juni 1971. „Der größte Skandal seit ihrem Bestehen erschüttert die deutsche Fußball-Bundesliga.“ Der Spiegel schrieb damals in einer Serie über die Korruption in der Bundesliga:
„Von den 72 Spielen an den letzten acht Spieltagen hatten sich 26 zu Manipulationen angeboten; es handelte sich um Spiele, in denen schwache Klubs gegen solche Vereine antraten, die weder Meister werden noch absteigen konnten." Tatsächlich wurden 18 Spiele davon nachweislich zwischen dem 3. April 1971 und 5. Juni 1971 gekauft, oder es wurde zumindest der Versuch unternommen, sie zu durch Geldzahlungen an Spieler zu beeinflussen. „Wer bei dem Schwarzhandel nicht mitbieten konnte oder mochte, blieb auf der Strecke.“
Maßgeblich versuchten die Vereine Arminia Bielefeld und Kickers Offenbach durch Spielmanipulationen den drohenden Abstieg zu verhindern. Aktiv oder indirekt beteiligt waren zehn von 18 Bundesligaklubs. Die gefährdeten Klubs gingen nach einem doppelten Prinzip vor: Der eigene Gegner wurde bestochen und den Gegnern der Mitkonkurrenten Geld geboten, damit sie auf Sieg spielten. Kickers Offenbach konnte sich trotz der Manipulationen nicht retten und landete auf dem 17. Tabellenplatz. Arminia Bielefeld erkaufte sich mit mindestens drei Spiele gegen den VFB Stuttgart, bei Schalke 04 und bei Hertha BSC Berlin – die alle mit 1:0 gewonnen wurden – den Klassenerhalt.
Von den abstiegsbedrohten Vereinen hatte einzig Rot-Weiss Essen ohne Scheckbuch gespielt – und musste die Bundesliga verlassen.
Mehrjährige Ermittlungen unter der Leitung von Hans Kindermann – damals Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses – legten das ungeheure Ausmaß des Skandals offen: „Das
auf traurige Weise legendäre „Geldspiel“ am 17. April 1971 zwischen Schalke 04 und Arminia Bielefeld, in dem die abstiegsbedrohten Gäste ihren 1:0-Sieg zuvor mit 40.000 Mark
oder 2300 Mark pro Schalker Spieler erkauft hatten, war nur die Spitze des Eisbergs. Am letzten Spieltag wurden in Berlin beim Spiel Hertha BSC Berlin und Arminia Bielefeld (Endstand 0:1) eine Viertelmillion Mark Schmiergeld an die Hertha-Spieler gezahlt. Bielefeld rettete sich durch den Sieg vor dem Abstieg in die Regionalliga (die 2. Fußball-Bundesliga gab es damals noch nicht). Insgesamt floss im Abstiegskampf über eine halbe Million Mark Bestechungsgeld.“ (Spiegel Online 2005)
Generalamnestie hilft nur den Tätern
RWE-Präsident Dr. von Wick forderte, dass der Abstieg von RWE rückgängig gemacht werde, denn „ohne die Punkte aus den bekannt gewordenen Bestechungsfällen wäre Arminia Bielefeld zusammen mit Kickers Offenbach auf den letzten Tabellenplätzen gelandet.“
Der Westdeutsche Fußballverband versuchte auf dem DFB-Bundestag vom 30.10.1971 zunächst noch zugunsten der Essener zu intervenieren, indem er einen Dringlichkeitsantrag stellte, RWE notfalls unter Aufstockung der Bundesliga die Lizenz zu erteilen. Der Antrag wurde abgelehnt. Wie ernst dieses Ansinnen in der mittlerweile laufenden Saison gemeint war, er konnte ja nur für die nächste Saison zum Tragen kommen, sei dahingestellt. Von weiteren Maßnahmen sah man jedenfalls ab. Denn: „Sofort konnte RWE nicht geholfen werden. Erst müssen ja mal rechtskräftige Urteile vorliegen, die das Unrecht an RWE beweisen.“
DFB-Präsident Hermann Gösmann sprach jedoch früh von „einer Generalamnestie nach Abschluss aller Verfahren.“ Im Juni 1972 versuchte RWE erneut auf dem Rechtswege die Bundesligalizenz zu erhalten und erwog zugleich eine Schadensersatzklage gegen den DFB. Am 30.10.1972 zog man diese dann zurück und verzichtete darauf ein Schiedsgerichtsverfahren gegen den DFB einzuleiten.
FC Meineid
Letztendlich verloren zwei Trainer, fünf Funktionäre und zwei Vereine ihre Lizenz. Kickers Offenbach war allerdings eh abgestiegen, alle Spiele von Arminia Bielefeld wurden in der Rückrunde der nächsten Saison auf Null gesetzt und die Mannschaft zum Zwangsabsteiger ernannt. Weitere 52 Spieler aus sieben Vereinen wurden gesperrt. Die erste große Welle der Begnadigungen setzte pünktlich vor Beginn der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land ein.
Für acht Schalker Spieler, die für gerade einmal 2.300 DM pro Kopf ihr Spiel gegen Arminia Bielefeld (0:1) verkauft hatten, endete der Skandal allerdings vor dem Essener Amtsgericht. Sie hatten sich bei der Aufdeckung des Skandals dermaßen in ein Lügennetz verstrickt, dass sie am 22. Dezember 1975 rechtskräftig wegen Meineids verurteilt wurden.
Die langjährige durchaus enge Verbundenheit zwischen Rot-Weiss Essen und dem Nachbarn aus der Stadt nördlich der Ruhrmetropole war damit zerstört. Für die RWE-Fans gibt es seitdem nur noch den FC Meineid, der in Gesängen geschmäht wird.
Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.