7. Februar 2021

„Mit mir wäre Holland Weltmeister geworden“

Willi Lippens im Spiel Niederlande gegen Luxemburg, in dem er das 1:0 erzielte. (Foto: Archiv)
Willi Lippens im Spiel Niederlande gegen Luxemburg, in dem er das 1:0 erzielte. (Foto: Archiv)

Vor 50 Jahren spielte Willi Lippens für die niederländische Nationalelf.

Zur Saison 1965/66 kam ein Stürmertalent für 4000 Deutsche Mark Ablösesumme an die Hafenstraße, das für über ein Jahrzehnt zum Aushängeschild für Rot-Weiss Essen werden sollte – Willi Lippens, geboren im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Sein Vater war Niederländer, seine Mutter Deutsche. In Essen wurde er heimisch. Man hört es, denn er trägt den Ruhrpott in der Stimme. Fußball war sein Leben.

„Ich hatte Vorbilder wie Helmut Rahn. Ich hatte solche Vorbilder wie sie Jungs heute haben, und ich habe mir gewünscht, mal berühmt zu werden. Und mit ein bisschen Glück habe ich es auch geschafft.“, bekannte Willi Lippens nach seiner Karriere. Sein Trainer Ivica Horvath sah in ihm gar den besten Linksaußen Europas. Für Rot-Weiss Essen spielte der Fußballunterhaltungskünstler insgesamt 447 Pflichtspiele und erzielte dabei 238 Tore. Sein Erfolgsrezept war einfach: „Ich habe nie eine Torchance überhastet vergeben. Lieber habe ich sie vertändelt.“

Nationale und internationale Angebote

Willi Lippens erhielt Angebote von Hertha BSC Berlin bis zum Weltpokalsieger Feyenoord Rotterdam. Im Dezember 1969 wollte Ajax Amsterdam mitten in der Saison den Ausnahmestürmer verpflichten. „Willi, du darfst nicht gehen!“, schallte es aus der Westkurve und Lippens verkündete schließlich im Fernsehen, dass er auch im nächsten Jahr in Essen weiterspielen wird. Nur sechs Monate später gewann Amsterdam den Europapokal der Landesmeister.

Feynord Rotterdam versuchte 1970 erneut Essens Publikumsliebling abzuwerben und bot als Ablösesumme soviel, dass ein Sportschau-Reporter feststellte: „Willi Lippens, sie sind zur Zeit so viel wert wie zehn Einfamilienhäuser.“

Seine Spielweise machten ihn auch für die deutsche Nationalmannschaft interessant. Bundestrainer Helmut Schön rief immer wieder an und versuchte den Vollblutstürmer zu überzeugen, einen deutschen Pass zu beantragen. Doch Vater Lippens war strikt dagegen. Willi Lippens: „Mein Vater ist während des Krieges mit einigen anderen Niederländern, die in Kleve wohnten, in einen Keller getrieben und mit Knüppeln zusammengeschlagen worden. Sie wollten, dass er sich freiwillig fürs Militär meldete. Er weigerte sich. Das ist etwa viermal passiert. Darum bin ich sehr stark antideutsch erzogen worden.“ Vater Lippens machte seinem Sohn unmissverständlich auf die Konsequenzen bei einem Spiel für die DFB-Auswahl aufmerksam: „Ich hätte mich nie mehr zu Hause blicken lassen dürfen.“

Ein Länderspiel für die Niederlande

Willi Lippens wurde dennoch Nationalspieler. In einem Schreiben vom 28.01.1971 bekundete der „Koninklijke Nederlandsche Voetbalbond“ sein Interesse an Essens Stürmerstar. Einige Tage später kündigte sich Verbandstrainer Dr. Fadrhonc für das Spiel Rot-Weiss Essen – Bayern München an und bat darum, nach dem Spiel mit Willi Lippens ein Gespräch führen zu können. Der Auftritt des Essener Stürmerstars beim 3:1-Sieg über die Bayern war überzeugend. Ihm gelang in der 59. Minute der 1:1 Ausgleichstreffer. Die Einladung zum nächsten EM-Qualifikationsspiel der Niederlande folgte.

„Ein Holländer aus Essen, der seine Muttersprache versteht, aber nicht spricht, wird am heutigen Mittwochabend in Rotterdam sein Debüt in der holländischen Fußballnationalmannschaft im Europameisterschaftsqualifikationsspiel gegen Luxemburg geben“, war am 24.2.1971 in der Presse zu lesen.

Und auch dort holte die deutsch-niederländische Vergangenheit das Kind der frühen Nachkriegszeit ein. Im Mannschaftsbus hatte der Fahrer im Radio einen deutschen Sender eingeschaltet. Ein Mitspieler forderte lautstark, den „Nazi-Sender“ auszustellen. Als Lippens etwas dagegen sagte, erhielt er zur Antwort: „Du bist doch auch ein halber Deutscher.“ Lippens meint rückblickend: „Ich hätte schon vor dem Spiel aussteigen müssen“, doch der Wunsch im Nationaltrikot zu spielen war größer. Außerdem spielte er gemeinsam mit Johan Cruyff und Johan Neeskens in einem Team. Trotz seines Tores zum 1:0 in der 26. Minute und des 6:0 Sieges fand er keine Bindung zum Spiel und verzichtete fortan auf das Oranje-Trikot. „Ich bin rauf und runter gerannt, aber die anderen Spieler ignorierten mich. Ich fand es sehr schlimm, dass ich nicht als Niederländer akzeptiert wurde.“

Holland ohne Lippens bei der WM

Die Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland hätte Willi Lippens dann aber doch gerne im Oranje-Trikot mitgemacht. Der neue Bondscoach Rudi Michels erklärte aber im NRZ-Interview, dass Lippens nicht zur Diskussion stehe. Das würde nur Unruhe in die Mannschaft bringen. Die NRZ fragte kritisch: „Ob allerdings die hoch eingeschätzten Holländer es sich erlauben können, auf einen fraglos großartigen Lippens zu verzichten, das bleibt abzuwarten!“

In einem zwanzigminütigen Ausschnitts aus einer Dokumentation des Holländischen Kanals NPS aus dem Jahr 2010, die auf YouTube zu sehen ist (Willi "Ente" Lippens – Nationalmannschaft Holland / Doku), sagt der Ausnahmestürmer zu Beginn des Beitrags: „Ich bin davon hundertprozentig überzeugt, dass ich Deutschland erschossen hätte, 1974. Das weiß ich. Weil alle Verteidiger in Deutschland hatten Angst, wenn die mich gesehen haben. Die meisten konnten mich nicht ausschalten.“

Verständlich seine Schadenfreude, als die Niederlande 1974 das WM-Finale gegen die Bundesrepublik Deutschland mit 1:2 verloren. Zum Ende der Dokumentation meint Willi Lippens schmunzelnd: „Mit mir wäre Holland Weltmeister geworden. Und ich wäre der einzige Weltmeister in Deutschland gewesen.“

Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.