19. August 2021

„Dem Flutlichtfußball gehört die Zukunft“

Herkenrath klärt per Faustabwehr im Flutlichtsspiel gegen Honved Budapest. (Foto: Archiv)
Herkenrath klärt per Faustabwehr im Flutlichtsspiel gegen Honved Budapest. (Foto: Archiv)

Vor 65 Jahren: Flutlichtpremiere beim 100. internationalen Spiel.

Flutlichtspiele an der Hafenstraße haben ihren ganz besonderen Reiz. Wenn der Spieltag an einem Freitagabend stattfindet, wie in etwa am Freitag gegen den SV Straelen (19.30 Uhr), strömen gefühlt noch mal einige Tausend Fans mehr ins Stadion Essen, um diese einzigartige Atmosphäre aufzunehmen. Die Premiere gab es vor 65 Jahren zum 100. internationalen Spiel von Rot-Weiss Essen.

Am 8. August 1956 wurde beim 4:0 Erfolg gegen Racing Club Straßburg eine der ersten Flutlichtanlagen in Deutschland eingeweiht. Voller Stolz heißt es dazu in der Festschrift von 1957, „dass wir als erster Verein des Westens zu dieser Errungenschaft neuer Technik gelangen.“ Aus diese Formulierung entstand später die immer wieder geschriebene Behauptung, an der Hafenstraße habe die erste Flutlichtanlage Deutschlands gestanden.

Die Nummer 1 im Ruhrgebiet
In Dresden hatte allerdings schon an Silvester 1949 das erste Flutlichtspiel auf deutschem Boden stattgefunden. Im Augsburger Rosenaustadion war eine Flutlichtanlage im April 1955 eingeweiht worden. Einen Monat vor der Essener Flutlichtpremiere erstrahlte das künstliche Licht am 18. Juli 1956 auch am Bieberer Berg beim 1:1 der Offenbacher Kickers gegen Wacker Wien. Im Ruhrgebiet war RWE allerdings Vorreiter im Flutlichtbau. Kurz darauf gingen die Lichter am 21.11.1956 in Dortmund beim 0:0 des BVB im Achtelfinalrückspiel gegen Manchester United und am 22.12.1956 in der Schalker Glückauf-Kampfbahn beim 1:0 im Freundschaftsspiel gegen UDA Prag an.

Rot-Weiss Essen hatte sich verschiedene Angebote für eine sogenannte „Nachtspielanlage“ eingeholt. Eine Anfrage ging an die schottische Firma Miller & Stables. Auf sie war man durch eine Anzeige im Programmheft zum Europapokalrückspiel von RWE am 12. Oktober 1955 bei Hibernian Edinburg aufmerksam geworden, das unter Flutlicht stattgefunden hatte. Das Programmheft befindet sich im RWE-Archiv. Darin ist mit Bleistift die Annonce des Erbauers der schottischen Anlage markiert. Ein ausführliches Angebot der Schotten erfolgte mit Schreiben vom 11. Januar 1956. Eine andere Anfrage ging im November 1955 an den BC Augsburg (Vorgänger des FC Augsburg) „betreffs Nachtspielanlage und der damit verbundenen Kosten.“ Albert Leimer, Vorstandmitglied des schwäbischen Fußballvereins und Mitinhaber der Firma, die die Flutlichtanlage im Rosenaustadion errichtet hatte, beantwortete das Essener Schreiben persönlich. Auch die Firma Philipps erstellte ein Angebot.

Letztlich entschied sich RWE aber für eine Anlage der Siemens-Schuckertwerke, die eine mittlere Beleuchtungsstärke von 140 Lux bei klarsichtigem Wetter garantierte. Das Spielfeld im Stadion an der Hafenstraße wurde durch 120 Scheinwerfer beleuchtet, verteilt auf vier Flutlichtmasten. Und das zu einem Festpreis von 37.200 DM mit einem interessanten Finanzierungsmodell. „Zahlungsbedingungen: Jeweils 15 % aus den Bruttoeinnahmen von Nachtspielen, jedoch der Gesamtbetrag spätestens innerhalb von 12 Monaten.“

Gepflegter Rasen im taghellen Licht
Die „Borbecker Nachrichten“ berichteten von der rot-weissen Flutlichtpremiere: „Bevor die Mannschaften einliefen wurde in einer kleinen Ansprache eines Mannes gedacht, dessen selbstlose Arbeit zum Gelingen des imposanten Werkes beigetragen hat. Schorsch Melches.“

Weiter heißt es: „Um 20.45 Uhr blendeten die Beleuchter auf und der gepflegte Rasen lag im taghellen Licht. Ein erstauntes ‚Oh’ der Anerkennung durchlief die Massen.“

Der langjährige Geschäftsführer Paul Nikelski schrieb in seinen Erinnerungen an die Einweihung: „Eine Bergmannkapelle spielte im Dunklen und mit einem Schlag gingen die Glühfäden der Flutlichter an.“ Der Journalist Heinz Kron prophezeite: „Die Bevölkerung des Ruhrgebietes, der Kumpel, der unter Tage arbeitet, der Schlosser, der acht Stunden ununterbrochen an der Werkbank steht und der Büroangestellte, der den ganzen Tag Akten wälzt und Briefe und Listen schreibt, sie alle werden dies Spiel in den kühlen Abendstunden bei tagheller Beleuchtung als eine Entspannung besonderer Art empfinden. Dem Flutlichtfußball gehört die Zukunft.“

Außerdem, so die zeitgenössische Berichterstattung, wirkten die Spiele im Scheinwerferlicht wesentlich rasanter und flüssiger, da sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer ungeteilt auf das erhellte Spielfeld konzentriere. „Es ist schon eine feine Sache! Wenn man so im Halbdunkel steht und den Spielfilm da unten vor sich abrollen sieht, dann könnte man den Fußballplatz beinahe mit einem Kino verwechseln“, fassten die „Borbecker Nachrichten“ den Reiz eines Flutlichtspiels zusammen.

Attraktive Spiele zur Finanzierung des Stadionausbaus
Die Flutlichtbegegnungen waren also ein spektakuläres optisches Ereignis in einer Zeit, in der das Fernsehen noch in den Kinderschuhen steckte. Sie boten den Zuschauern nun auch während der Woche eine attraktive Unterhaltungsmöglichkeit. Die internationalen Begegnungen, die RWE bereits vor der Einrichtung europäischer Pokalwettbewerbe bestritt, brachten zusätzliches Geld in die Vereinskasse und wurden gezielt aus diesem Grund mit erhöhten Eintrittsgeldern organisiert. Das brauchte man dringend, um die Pokalsieger- und Meistermannschaft sowie den Ausbau der vereinseigenen Anlage mit der neuen Haupttribüne zu finanzieren.

Mit Hilfe der internationalen Kontakte der weltweit agierenden Didier-Werke, deren Vorstandmitglied Georg Melches war, kamen Freundschaftsspiele gegen hochrangige Vereine aus Belgien, England, Frankreich, Skandinavien, Südamerika und sogar aus dem Ostblock zustande. So liefen renommierte Mannschaften wie Real Madrid, FC Liverpool und Arsenal London an der Hafenstraße auf. Die Essener Fans konnten sich zwischen 1950 und 1960 Jahr für Jahr auf eine zweistellige Zahl an internationalen Spielen freuen. Einen Höhepunkt im ersten Flutlichtjahr bildete am 7. November 1956 das Spiel eines kombinierten Teams von RWE/Fortuna Düsseldorf gegen die ungarischen „Wundermannschaft“ von Honvéd Budapest. Mehr als 40.000 Besucher kamen zu diesem Spiel.

Parallel zum Flutlicht- und Haupttribünenbau wurde die Gesamtanlage durch weitere Fußball-Ascheplätze und Spielflächen für die Tennis- und Basketball-Abteilung erweitert. Die Fertigstellung der Haupttribüne 1957 bildete den krönenden Schlussstein der Arbeit von Georg Melches.

Ein Beitrag unseres ehrenamtlichen Vereinshistorikers Georg Schrepper.